Kurze Vorfreude im Januar

Dresdner Kreuzkirche holt Weihnachtsoratorium trotz aller widrigen Bedingungen nach

Es hätte so schön sein können – Ende letzter Woche kam die erlösende Nachricht: am 22. Januar gibt es die Kantaten I, V und VI des Bach’schen Weihnachtsoratoriums mit dem Kreuzchor. Also doch noch ein Grund zur Vorfreude – wie schön! Zu diesem Zeitpunkt hatten Kreuzkantor Roderich Kreile und die Knaben bereits etwa eine Woche geprobt. Am Donnerstag dieser holte ich meine Eintrittskarten an der Konzertkasse im Haus der Kreuzkirche ab, als einige der Chorknaben – in lautstarker Vorfreude – gerade nach drüben in die Kreuzkirche zu einer weiteren Probe rannten. Proben, Proben, Proben, Tests, Tests, Tests – bis Freitagabend ging alles glatt. Dann, am Sonnabend, kurz vor Beginn der Aufführung, gab es für Roderich Kreile und den Chor ein niederschmetterndes Resultat: 16 der Jungen waren positiv getestet worden. Damit war die Chance, den Chor auftreten zu lassen, dahin.

Als der Kreuzkantor etwa eine viertel Stunde vor dem geplanten Beginn vor die Gemeinde trat, rang er sichtlich um Fassung, als er verkünden mußte: »es ist nun folgende Situation eingetreten …«. Er erwähnte zwar die »beglückenden beiden Wochen« der Proben, doch die Situation ließ keine andere Wahl. Die Kreuzkirche war zu diesem Zeitpunkt natürlich bis auf den letzten zugelassenen Platz besetzt, das Konzert war ausverkauft, man hatte kurzfristig sogar für Sonntagmorgen eine zweite Aufführung angesetzt. Und auch das darf man dabei nicht vergessen: für den aktuellen Kreuzkantor, der im Sommer in den Ruhestand gehen wird, war es das letzte Weihnachtsoratorium seiner Amtszeit.

Die versammelten Musiker des Philharmonischen Kammerorchester Dresdens, Kreuzorganist Holger Gehring, Roderich Kreile sowie das Solistenquartett aus Marie-Luise Werneburg (Sopran), Marlen Herzog (Alt), Patrick Grahl (Tenor) und Clemens Heidrich (Baß) entschlossen sich daher im Sinne aller Beteiligten und der Gemeinde zu einem Kompromiß, einer Aufführung wie geplant, aber nur mit den Solisten als Sängern, die alle Partien singen wollten. Das ist natürlich ein Kraftakt, ganz abgesehen davon, daß die vier in dem ohnehin kurzfristig vereinbarten Termin nur bedingt die Möglichkeit hatten, zu einem wahren Quartett zu verschmelzen.

Doch das Resultat gab ihnen Recht und wurde mit Dankbarkeit angenommen. Natürlich fehlte gerade so festlichen Stücken wie dem Eingangschor die gewohnte Pracht, vermißte man den typischen Knabenchorklang. Die Kraft dieses Oratoriums schöpfte sich aber nicht zuletzt aus dem »trotz allem!«

Daß die Entscheidung richtig war, zeigte bereits die Publikumsreaktion nach der Ansage des Kreuzkantors – kaum jemand machte Gebrauch von der Möglichkeit, zu gehen und seine Eintrittskarte zurückzugeben. Statt dessen blieben die meisten – denn es dürfte für fast alle eben auch das erste Weihnachtsoratorium seit zwei Jahren gewesen sein.

Und dies war zunehmend ein Gewinn. Orgel und Orchester paßten sich in der Dynamik dem kleinen Sängerensemble an, daß gerade die Choräle wunderbar ausgeglichen ausformten. Marlen Herzog zeigte sich in bestechender Ausdrucksform, Clemens Heidrich verfügt ohnehin über einen wohltönenden Baß. Und Patrick Grahl hatte mit der teilweise ununterbrochenen Folge von Terzett oder Choral, Evangelistenrolle, Rezitativ und Arie keinerlei Mühe. »Denn Christus hat zerbrochen was euch zuwider war« heißt es im Schlußchor der sechsten Kantate – möge es die Zuversicht für die die kommenden Monate stärken! Für die Aufführung gegen die Unbilden gab es stehenden Applaus.

23. Januar 2022, Wolfram Quellmalz

Die Kreuzvesper am kommenden Sonnabend wird das Vocal Concert Dresden (Leitung: Peter Kopp) gestalten. Weitere Informationen unter: http://www.kreuzkirche-dresden.de

Ein Kommentar zu „Kurze Vorfreude im Januar

  1. Auch die glücklichen Kartenbesitzer für das zusätzliche Sonntagskonzert waren tief enttäuscht ich bin vor Vorfreude schon am Samstag angereist, habe im Hotel übernachtet und dann nach dem FRÜHSTÜCK vom Ausfall erfahren. Sehr traurig habe ich dann in der Hofkirche einen schönen kath. Gottesdienst erlebt,ein Trost für Menschen aus der DIASPORA. CHRISTINE NEUMANN aus Neustadt

Schreiben Sie einen Kommentar

Trage deine Daten unten ein oder klicke ein Icon um dich einzuloggen:

WordPress.com-Logo

Du kommentierst mit deinem WordPress.com-Konto. Abmelden /  Wechseln )

Facebook-Foto

Du kommentierst mit deinem Facebook-Konto. Abmelden /  Wechseln )

Verbinde mit %s