VICA Ensemble spielte Bach in der Dresdner Annenkirche
Langsam, aber sicher etabliert sich der Name VICA Ensemble im Dresdner Musikleben. Und nicht nur dort – die Sänger und Musiker um Richard Stier werden auch andere Terminkalender erobern. Einen Tag vor dem ersten Sonntag der Passionszeit (Invokati, Versuchung Jesu) lockten sie am vergangenen Sonnabend trotz starker Konkurrenz (unter anderem in Kreuzkirche und Semperoper) zahlreiches Publikum in die Annenkirche. Der zugegebenermaßen frühe Zeitpunkt – nur drei Tage nach dem Fastenbeginn, bis Ostern sind es noch sechs Wochen – war ein schöner Einstieg in die Passionszeit.
Johann Sebastian Bachs Johannes-Passion (BWV 245) wurde vor 300. Jahren uraufgeführt. Wenig später begann Bach seinen zweiten Leipziger Kantatenjahrgang mit den Choralkantaten – vielleicht haben die Choräle schon in der Johannes-Passion eine besondere, hervorgehobene Bedeutung? Ensembleleiter Richard Stier zumindest fand in ihnen einen Kulminations- und Konzentrationspunkt, indem er sie oft heraus- und noch über Arien oder andere Chorstellen (Turba) hob. Das zeigte sich einerseits in ausgefeilten, individuellen Tempi, andererseits fast immer in einer dramaturgischen Teilung, wenn sich im Verlauf die Choräle kraftvoll belebten und der Text betont wurde. »Durch dein Gefängnis, Gottes Sohn«, in ruhigem Fluß und a cappella gefaßt, bekam wiederum durch diese Beruhigung eine ganz zentrale Bedeutung.
Die Geschlossenheit des Chores beeindruckte, immerhin an die 30 Sängerinnen und Sänger umfaßt er. Dabei ist die Besetzung noch nicht permanent, das heißt die Teilnehmer bereiten sich dezidiert auf die Projekte vor (anders als Chöre mit wöchentlich regelmäßigen Proben). Ganz offensichtlich zielt Richard Stier nicht auf den Ausdruck eines Kammerchores, sondern strebt einen großen Chorklang bzw. ein volles »Plenum« an. Nicht weniger ausgefeilt setzte er das Instrumentalensemble ein, daß mit an die zwanzig Musikern incl. Gambe, Flöten und Oboen solo wie im Duo, ebenso reich besetzt war und es erlaubte, noch den Basso continuo unterschiedlich zu färben.
Obwohl Ausdruck und Gestaltung an sich immer stimmten und die Johannes-Passion nicht in eine Überbeanspruchung oder einen dauerhaften Überwältigungseffekt führte, hätte weniger Kontrast und – durchaus auch – Effekt dennoch genügt. Auf der anderen Seite entlockte Richard Stier vielleicht gerade so dem Werk eine ungewohnte Leidenschaftlichkeit, der man sich aufgrund des vokal wie instrumental geschlossenen Eindrucks kaum entziehen konnte. Das fokussierte nicht zuletzt auf Besonderheiten der Johannes-Passion, wie den Worten Jesu, der hier (anders als im Schwesterwerk nach dem Text von Matthäus) bekennt: »Ich bin dazu geboren und in die Welt kommen, daß ich die Wahrheit zeugen soll. Wer aus der Wahrheit ist, der höret meine Stimme.«

Stark besetzt waren auch die Solisten. Mit Robert Pohlers stand ein erfahrener Evangelist zur Verfügung, der seine Rolle ausgezeichnet und im Sinne der emotionalen Aufführung gestaltete, ebenso wie Jaro Kirchgessner (Altus), der schon die erste Arie (»Von den Stricken meiner Sünden«), von den Oboen begleitet, forciert herausstrich. Neben Clara Sophie Rohleder (Sopran) und Martin Höhler (Tenor) wurden kleinere Soli (Petrus, Magd, Diener) aus dem Chor besetzt. Besonders stark waren die Bässe Thomas Laske als Christus und Gerry Zimmermann als Pilatus. Sie verliehen den Figuren über den musikalischen Charakter hinaus menschliche Züge, gar ambivalente. Letztlich schien Pilatus deutlich distanciert von jenem Urteil, dessen Ausführung er nicht verhindern konnte. Auf das nächste Projekt des VICA Ensembles darf man wohl gespannt sein.
18. Februar 2024, Wolfram Quellmalz
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