Dresdner Kammerchor präsentiert Reichtum des Nordens
Wer bei »nordisch« – gerade jetzt – an Farben wie Schiefergrau und Eisblau denkt, hat zweifellos recht. Dirigent Stefan Parkman staunte bei seinem Besuch in Dresden über die blühenden Krokusse und Narzissen – in Nordschweden liegen derzeit noch bis zu zwei Meter Schnee. Und doch durfte, wer gestern im ZentralWerk der Fortsetzung der A-cappella-Reihe ZentralVokal mit dem Dresdner Kammerchor beiwohnte, noch ganz andere Farben wahrnehmen. Von Frühlingstönen, zart wie Freesien, bis zu kräftig leuchtenden Flämmchen – all das findet man in der Musik aus »Nord« (Programmtitel).
Stefan Parkman hatte für den Dienstagabend, der sich draußen recht »nordisch« zeigte, ein köstliches »Bukett skandinavischer Musik« gebunden. Und das bot über die Frische hinaus viel leidenschaftliche Musik. Gerade manche traditionelle Titel waren von treibenden Rhythmen geprägt, flohen und stürmten durch den Saal. Jaakko Mäntyjärvis »Double, double toil and trouble« – nichts weniger als ein »Hexenlied« mit Beschwörungsformeln – entwickelte seinen Zauber ganz unwiderstehlich. Der Dresdner Kammerchor behielt auch bei gewagter Polyphonie und experimenteller Harmonik seine Qualität, bot ein sicheres Fundament ebenso wie er virtuosen Stimmverzweigungen bis in Soli einzelner Chorsänger folgte. Zauberisch geriet noch mancher der meist unbekannten Titel – Stefan Parkman hatte wahrlich ein Bukett zusammengestellt, das viele Neuentdeckungen bot. Und wenn etwas bekannt schien, wohnte ihm doch ein anderer Hauch inne, wie gleich zu Beginn bei Henry Purcells »Music for a while«, das (noch ohne Dirigenten) in der Fassung von Gunnar Eriksson erklang.

Verstärkung hatte sich der Kammerchor mit Robin Gaede gesichert, der einmal nicht die Orgel »schlug«, sondern am Flügel Ein- oder Überleitungen spielte und manchmal ein wenig begleitete. Ein Format mit Öffnung sozusagen, oder »A-cappella-plus«. Thomas Förster las eine ganze Reihe von Texten, deren unaufdringliche Interpretation gut zum Duktus paßte, daß doch viele Titel oder Texte nicht als unmittelbare Auslöser fungierten, sondern zunächst ein Inneres im Menschen erreichen wollten. Ganz besonders fiel auf, wie manche Stücke aufeinander bezogen waren – auf Jaakko Mäntyjärvis gesungene Beschwörungsformeln folgte mit Paul Boldts »Nacht über Finnland« in der Lesung ein Text, der das Nachtgespenst in Nadelwäldern weckte, an Federico García Lorcas »Der Mond kommt hervor« wiederum schloß sich EInojuhani Rautavaaras Suite de Lorca an. Hinsichtlich der programmatischen Dichte war es das bisher vielleicht gelungenste Konzert der Reihe.
Wer sich im ersten Teil vielleicht gewundert hatte, daß vor allem englisch und deutsch (sowie mit einer Ausnahme spanisch) gesungen wurde, bekam nach der Pause gleich eine ganze Reihe skandinavischer Titel im Original. Wie schon gewohnt war auch das kein Problem für den Dresdner Kammerchor (Einstudierung: Inga Diestel). Und es blieb dabei: »nordisch« ist keineswegs kühl, sondern kühn und experimentell.
Ganz wunderbar entfaltete sich Wilhelm Stenhammars »Vårnatt« – die »Lenznacht« hatte ebenso Friedrich Wilhelm Weber in seinem Gedicht »Norwegische Frühlingsnacht« beschrieben. Zum »plus« des A-cappella-Abends gehörte neben Alexandre Skrjabins Prélude Nr. 12 als Solobeitrag des Pianisten, daß einzelne Choristen »Biegga Luohte« von Jan Sandström mit Tamburin und tönenden Wassergläsern (wie eine Glasharmonika) begleiteten.
Damit nicht genug, hatte Thomas Förster zuvor Tomas Tranströmers »Allegro« gelesen, danach standen sich zwei Fassungen von William Shakespeares Sonett Nr. 60 direkt gegenüber: auf die gelesene Übertragung von Günter Klotz folgte die von Carl-Michael Bergerheim vertonte Nachdichtung Stefan Georges – wer wollte da entscheiden, was »schöner« sei?
28. Februar 2024, Wolfram Quellmalz
Die Konzertaufzeichnung von ZentralVokal V wird am kommenden Mittwoch (6. März) ab 20:03 Uhr in der Sendung »Konzert« auf Deutschlandfunk Kultur übertragen.
Nächste Konzerte des Dresdner Kammerchores: 8. März, 19:30 Uhr, ZentralWerk: »Echo«, Abschlußkonzert der Chorpatenschaft mit dem Jugendchor des Gymnasiums Dreikönigschule Dresden, 31. März: 18:00 Uhr, Kulturpalast, Osterkonzert mit der Dresdner Philharmonie, 16. April, 19:30 Uhr, ZentralWerk: ZentralVokal VI »West« (Leitung: Inga Diestel)