Schattenhaft, kaum greifbar

Capell-Compositeur Georg Friedrich Haas zu Gast in der Musikhochschule

Den saisonalen Capell-Compositeuren und -Compositrices der Sächsischen Staatskapelle Dresden widmet sich neben einzelnen Werken im Konzertkalender nicht nur das traditionelle Portraitkonzert des Orchesters (im Februar in Hellerau), auch die Musikhochschule pflegt seit der Institutionalisierung der Residenz eine enge Zusammenarbeit mit Workshops und Gesprächskonzerten. Viele Kontakte reichen sogar noch weiter zurück – wie jene zum aktuellen Capell-Compositeur Georg Friedrich Haas.

Georg Friedrich Haas, aktueller Capell-Compositeur der Sächsischen Staatskapelle Dresden, Photo: © Harald Hoffmann

In dieser Woche gab und gibt es viele Möglichkeiten, Werke eines Komponisten kennenzulernen und seinen Namen im Gedächtnis zu verankern – oder an wen denken Sie bei Georg Friedrich H.? Dabei zählt Georg Friedrich Haas bereits zu den bekanntesten, anerkanntesten zeitgenössischen Komponisten. Jörn Peter Hiekel verwies in seiner Moderation darauf, daß noch zu Zeiten dessen ersten Besuches (2005) Mikrotonale Musik selbst im zeitgenössischen Segment eher als ungewöhnlich angesehen wurde – heute ist es eine anerkannte Disziplin an den Musikhochschulen und so normal, daß man sie im Sinfoniekonzert erleben kann. Gleich morgen gibt es die Uraufführung von »I Don’t Know How to Cry« nach einem Gedicht von Jill Carter mit der Sächsischen Staatskapelle.

Im Gesprächskonzert am Donnerstag im Konzertsaal der Musikhochschule erklangen vier andere Werke von Georg Friedrich Haas. Zu wenige für eine Retrospektive, aber mit zwei Schaffensperioden Anfang der 1990er Jahr und 2010 gaben sie gerade interessante Einblicke. Haas‘ Klangwelt sei anfangs unter anderem vom Rechnen, der Mathematik geprägt gewesen, wie der Komponist erzählte, weil schöne mathematischen Strukturen auch zu schöner Musik führten, wie er sagt. »…Schatten … durch unausdenkliche Wälder« für zwei Klaviere und zwei Schlagzeuger zum Beispiel sei ein »Computerstück« gewesen. Freilich eines mit den damaligen Mitteln, wobei Haas, der die hochkomplexen Rechenzentren kennengelernt hatte, auf eine Reduktion der Mittel vertraute: ein simpler Rechner mit Fernseher als Bildschirm und Kassettenrekorder (!) als Datenspeicher.

Was sich nach den vier Hörproben, zu denen noch das sechste Streichquartett, ein Stück für Solobaßflöte (»… aus freier Lust … verbunden …«) sowie »AUS.WEG« für acht Instrumente zählte, feststellen ließ, war das Vorhandensein und Ausloten musikalischer Zwischenräume (so wie die Punkte in den Werktiteln). Die Zwischenräume der Mikro- und Vierteltonalität oder der kleinsten Intervalle nutzt Georg Friedrich Haas aber nicht, um darin zu verschwinden oder einen Verlauf darzustellen. Vielmehr gleichen seine Werke Gebilden, musikalischen Aggregatzuständen, die sich verändern, sublimieren, überraschen. Manches, wie Übergänge oder gar der Schluß, ist unvorhersehbar. Und warum mußten Glocken an exakt ausgemessen langen Schnüren hängen? Pendel seien es, hatte der Komponist erklärt. Und dann wurde der physikalische Fakt Teil des musikalischen Geschehens, weil die pendelnde Glocke zunächst einen anderen Raumklang verursacht und schließlich sogar der Dopplereffekt (scheinbare Tonhöhenänderung sich relativ zum Beobachter bewegender Objekte, wie wir es von Sirenen der Einsatzwagen kennen) hörbar wurde.

Solche »Spielereien« nutzt Georg Friedrich Haas jedoch nicht aus Ulk, sondern ganz ernsthaft, forscht in sie hinein und kommt den »Schatten« des Titels frappierend nahe. Wechselwirkungen sind es vor allem, die hervortreten, etwa wenn sich aus dem gleichzeitigen Erklingen von Schlagwerk und Klavier der dauerhaftere Ton des letzteren herausschält. Dabei bleiben die Werke oft – wie Schatten – nicht ganz greifbar, weil die Kontur auszufransen scheint. Das verhindert spannungsvolle Verläufe jedoch nicht, wie vor allem das Streichquartett mit Shih-Yung Huang und Daria Popova (Violinen), Tomas Westbrooke (Viola) und Seunghwa Kim (Violoncello), dessen Wiedergabe Georg Friedrich Haas als »präzise und liebevoll« lobte, vorführte.

12. April 2024, Wolfram Quellmalz

Heute und morgen: Sächsische Staatskapelle Dresden, Susanna Mälkki (Leitung), Werke von Georg Friedrich Haas und Franz Schubert.

https://www.staatskapelle-dresden.de/konzerte/konzertkalender

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