Zweites der Altkaditzer Sommerkonzerte
Die drei Konzerte von »Orgel plus« in der Emmauskirche Dresden-Altkaditz gehören bei manchen fest in den Kalender, sozusagen wie Sommerfestspiele. Trotzdem gibt es Ereignisse, die selbst bei so beliebten Reihen zu einer Publikumsminderung führen – am Freitagabend fand zeitgleich das Viertelfinale der deutschen Fußballnationalmannschaft statt. Ob Stephan Seltmann (Orgel) und Sophia Gulde (»plus«) vorausgesehen hatten, was kommen würde? Zumindest befand sich in ihrem Programm, kurz nach Ende der normalen Spielzeit, Modest Mussorgskys »Die Träne« …
Nein, das war wohl ein zufälliges Zusammentreffen, denn die Stücke waren ganz offensichtlich unter musikalischen Gesichtspunkten zusammengestellt, wandelten vom Barock über die Romantik bis ins zwanzigste Jahrhundert und unsere Tage, spiegelte auf diese Weise vier Musikepochen wider. Über den chronologischen Verlauf hinaus wandelte auch das »plus« von Sophia Gulde, die viele Stücke auf der Viola (ihrem Hauptinstrument) spielte, zwischendurch aber zur Violine wechselte.

Obwohl die barocke Einleitung nur zwei Werke umfaßte, lag in ihr kein geringes Gewicht. Pierre-Antoine Fiocco, ein venezianischer Komponist, der sich in Brüssel niedergelassen hatte und vor allem mit Opernaufführungen eigener und fremder Werke in Erscheinung getreten war, schrieb auch selbst einige instrumentale Werke. Ein Allegro Fioccos eröffnete das Konzert wie eine fröhliche Landpartie. Franz Bendas Sonate in c-Moll begann im Anschluß deutlich dunkler, andächtiger, schwang sich bald aber ebenfalls in ein belebtes Allegro. Sophia Gulde führte die geschmeidige Gesanglichkeit ihres Instruments ebenso vor, wie sie die erstaunliche Eloquenz der Viola bewies.
Mussorgskys »Träne« fiel danach in schweren Tropfen – ein Vorzeichen? Stephan Seltmann ließ die Jehmlich-Orgel hier teilweise wie ein Harmonium klingen, in Gabriel Faurés »Après un reve« (»Nach einem Traum«, oder etwa »Der Traum ist aus«?) dann belebte er das Begleiterspiel tremolierend, indes die Erzählstimme bei der Viola blieb.
Carl Türcke (auch Türck oder Türk) trat vor allem als Leiter von Chören und als Liedkomponist in Erscheinung. Da verwunderte es nicht, daß auch seinem Adagio mit Variationen ein sängerischer Duktus innewohnt. Er erinnerte an Mendelssohns Fassung von »Verleih uns Frieden«. Mit Entdeckungen wie diesen überraschten Sophia Gulde und Stephan Seltmann noch mehrfach – abgesehen von Faurés »Traum« waren die meisten Stücke und einige der Komponisten wenig bekannt.

Gerade für Orgelfreunde gehört der Organist und Komponist Maurice Duruflé jedoch zu den herausragenden Persönlichkeiten. Sein Prélude sur l’Introit de l’Epiphanie gab Stephan Seltmann Gelegenheit, die vermeintlich kleine Orgel einmal richtig erblühen zu lassen. (Vielleicht waren die leuchtend französischen Klangfarben bessere Boten für den Ausgang des Abendspiels?) Das an sich kurze Solostück gewann schnell an sinfonischer Dichte und Atmosphäre, sozusagen ein »Orgel plus Orgel«. Kurz darauf folgte noch ein zweites Stück für die Orgel allein, Johannes Matthias Michels »Calypso«, das wie eine Kinoorgellandschaft begann, bald aber lateinamerikanische Rhythmen herausstellte.
Auch davon sollte es noch mehr geben, denn an Maurice Duruflés sinfonischen Ausflug hatte sich ein Block moderner, zeitgenössischer Kompositionen angeschlossen. Michael Schütz, 1963 geborene, hat unter anderem ABBAs »Thank you for the music«, Stings »Russians«, aber ebenso Filmmusik aus »Harry Potter« für die Orgel bearbeitet. Sophia Gulde und Stephan Seltmann hatten wohlweislich nicht den Klassiker von Queen »We are the champions« ausgewählt, sondern »Litte Bird« und »Without you«, zwei Lieder bzw. Liedbearbeitungen. Denn der Komponist hat zudem eine Reihe von oft englischsprachigen Werken mit geistlichem Hintergrund verfaßt. Eine leichte Zugänglichkeit und Unterhaltsamkeit ist ihnen eigen.
Eine Steigerung gab es dennoch auch hier, als sich die beiden Instrumente kurz vor dem Schluß Michael Schütz‘ »Salsa« zuwandten, worin nicht nur typische Tanzrhythmen eingebunden sind, sondern ein teils improvisatorischer Charakter.
Sulchan Zinzadse ist für all jene, die sich mit Studienliteratur und speziell dem Violoncello befassen, ein bekannter Name. Der »Grusinische Tanz« des georgischen Komponisten führte zurück zur rein klassischen Musik, noch einmal aber in der modernen Ausprägung des zwanzigsten Jahrhunderts.
Vor dem geselligen Ausklang draußen vor der Linde sollte es noch eine gemeinsame Zugabe von beiden Musikern mit dem Publikum geben – Matthias Claudius‘ »Der Mond ist aufgegangen«.
6. Juli 2024, Wolfram Quellmalz
Das dritte und letzte Konzert der Reihe Orgel plus findet am 9. August statt. Dann spielen Thomas Kahle (Orgel) und Andreas Wilke (Fagott) Werke von Antonio Vivaldi, Georg Philipp Telemann und anderen (Beginn: 19:30 Uhr, Emmauskirche Altkaditz).
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