Sebastian Freitag im letzten Orgel-Zyklus-Konzert des Jahres in der Hofkirche
Vor den letzten beiden Terminen Ende November und Anfang Dezember spielte Domorganist Sebastian Freitag das letzte Konzert des Jahres im Dresdner Orgelzyklus in der Hofkirche (Kathedrale). Am Mittwochabend steigerte er dabei die Form bis in wagner‘sche Größe.
Charles Wesley war eigentlich Pfarrer und ist bestenfalls als Kirchenlieddichter bekannt. Ein Concerto für Orgel vermutet man bei ihm also weniger, dennoch finden sich gleich mehrere in seinem Katalog. Sebastian Freitag spielt das erste aus den sechs Concerti Opus 2 zu Beginn. Wesley hatte sich zwar mit italienischer Sprache beschäftigt, ein Studienaufenthalt findet sich in seinem Lebenslauf aber nicht (er war in Amerika). Dennoch erweckte sein Concerto d-Moll Eindrücke wie italienische »Originale«, seien sie nun von Vivaldi oder Händel (an den vor allem das Larghetto mit seinem Lascia ch’io pianga-Charakter erinnerte). Dem Andante hatte Wesley vielleicht eher einen »Lobet-den-Herrn«-Hymnus eingepflanzt – denkbar wäre es im Hinblick auf seinen Lebenslauf. Die feinen Verästelungen des Schlußsatzes vervollständigten in jedem Fall die reizvolle Entdeckung und sensibilisierten für das, was noch kommen sollte.
Zunächst gab es mit Samuel Scheidt aber einen echten Hymnus: »Christe qui lux es et dies« (Christe, der du bist Tag und Licht, SSWV 151). Ein herrlicher Choral, getragen zunächst von den Haupt- und Oberstimmen, der durch die Register wanderte, wurde blühender und schöner – ganz im Sinne eines feierlichen Preisliedes. Die Silbermann-Orgel war wieder einmal als vielstimmige Solistin und Chor zu erleben!

Wie anders fügten sich Justin Heinrich Knechts Drei Fugen für Orgel an. Im Vorjahr hatte Anna-Victoria Baltrusch die Verfeinerung des Geschmacks in den Bach-Nachfolgegenerationen unter anderem an einem Choralvorspiel von Justin Heinrich Knecht vorgeführt. Sebastian Freitag öffnete das Schatzkästlein der Empfindsamkeit nun noch ein ganzes Stückchen weiter und präsentierte eine Fuge über das Thema B-A-C-H (B-Dur) sowie mit »normalen« Themen in c-Moll und G-Dur, wobei die letztere mit dem besonderen Zusatz Vivace versehen war. Bach war in der ersten Fuge warm eingebettet, auch wenn die markanten Töne natürlich deutlich hervortraten. Fließende Übergänge milderten jedoch harte »Kanten«. Die zweite Fuge beeindruckte in der Art, wie im zunächst dunklen Moll allmählich, aber stetig Licht den Tonraum erhellte. Das Vivace der dritten wirkte in der Tat vital und erinnerte an die Munterkeit von Vogelstimmen.
Waren bisher bereits unterschiedliche Stufen oder Epochen der Schönheit präsentiert worden, so konnte die Sonate c-Moll von Julius Reubke dies noch steigern, denn vor allem im ersten Satz näherte sich der Komponist harmonisch und schließlich auch im Ausmaß Richard Wagner. Mit diesem hatte er wohl nichts im Sinn, aber vielleicht eine vergleichbare Auffassung? Die Sonate mit dem Untertitel »Der 94. Psalm« zumindest greift in vier Sätzen Verse* des benannten Psalms auf und interpretiert sie instrumental. Auf die dunklen Wagner-Akkorde im schreitenden Grave – Larghetto folgen bald versöhnliche Klänge. Die aneinandergefügten Sätze bzw. Teile wandelten sich nicht nur, sie führten in eine eindrucksvolle Steigerung nebst Fuge(n) – passend für ein großes Finale!
21. November 2025, Wolfram Quellmalz
Der Abschluß des Dresdner Orgelzyklus wird mit Palstorganistin Anna Lapwood im Kulturpalast (26. und 27. November) sowie Holger Gehring, der den Jahrgang mit einem Orgel-plus-Programm (plus Illumination und Tanz) am 3. Dezember beenden wird, noch einmal besonders. Im Februar beginnt der Zyklus 2026.
* Texte:
Grave – Larghetto: »Herr Gott, des die Rache ist, erscheine. Erhebe Dich, Du Richter der Welt; vergilt den Hoffärtigen, was sie verdienen.«
Allegro con fuoco: »Herr, wie lange sollen die Gottlosen prahlen? Wittwen und Fremdlinge erwürgen sie und tödten die Waisen und sagen: der Herr sieht es nicht und der Gott Jacobs achtet es nicht.«
Adagio: »Wo der Herr mir nicht hülfe, so läge meine Seele schier in der Stille. Ich hatte viel Bekümmernisse in meinem Herzen, aber deine Tröstungen ergötzen meine Seele.«
Allegro: »Aber der Herr ist mein Hort und meine Zuversicht. Er wird ihnen ihr Unrecht vergelten und sie um ihre Bosheit vertilgen.«