Vibrierender Saisonbeginn

Am Ende waren alle hingerissen und verharrten in sekundenlanger Starre, wie trunken nach Bruckners sechster Sinfonie. Christian Thielemann stand mit erhobenem Arm, die Geigenbögen waren nach dem letzten Ton noch in die Luft gereckt – Stille. Zaghaft, zögerlich setzte langsam der Applaus ein, steigerte sich, Bravorufe – der Saisonbeginn der Sächsischen Staatskapelle war ein Höhepunkt. Man fragt sich, wohin sich der Mann noch steigern will (kann). Grenzenlos, scheint es, werden er und sein Orchester besser, von Mal zu Mal werden Nuancen klarer, feiner, hier etwas mehr Ausdruck, dort etwas mehr Klarheit und Struktur, noch glattere Übergänge, noch, noch, noch… – Bruckner im Rausch…

Doch der Abend hatte mit dem ersten Auftritt des Capell-Virtuosen begonnen. Vor zwei Jahren hatte Yefim Bronfman im Rahmen der Dresdner Musikfestspiele einen glänzenden Auftritt in der Semperoper gehabt, spielte Haydn, Brahms und Prokofjew (ein weiteres Rezital wird es im März geben), nun kehrte er mit Beethovens drittem Klavierkonzert zurück. Hell, vibrierend, packend – gleich mit dem ersten Bogenstrich elektrisierten Thielemann und die Staatskapelle ihr Publikum. Yefim Bronfman zählt zu jenen Pianisten, die auf der Bühne optisch nahezu unscheinbar werden, sich in Töne verwandeln, in Seelentöne, scheint es. Jederzeit ausgewogen formte er den Beginn der Romantik, wandelte zwischen Klarheit und Lyrik, Zurückhaltung und Impetus. Jede Steigerung, jedes Zurückfallen, jede Phrase hatte da Inhalt, ohne ein Übermaß an Inhaltsschwere aufgebürdet zu bekommen. Im Gegenteil fand Bronfman die leuchtendsten Farben immer da, wo er grüblerisch mäanderte oder träumte. Dann schien er zu drohen, Beethoven brauste auf, wozu die Violinen aber »lachten«. Christian Thielemann hat den Orchesterklang noch weiter verfeinert. Jede Note war da zu hören, alles schien durchtränkt von Beethoven. Daß der lospoltern kann, bewies die Staatskapelle aber auch. Kernige Bläser schafften Akzente, schärften Kontraste ohne Übertreibung. Im Sturm beschlossen sie den ersten Satz, an den sich ein köstliches Largo anschloß, von Yefim Bronfman voller Poesie besungen, aber auch von Norbert Angers Cello im Zwiegespräch getragen.

Und noch einmal steigerte sich die Spannung im dritten Satz, als die Violinen zuzustechen schienen, Dissonanzen die Spannung steigerten, Aufladung und Entladung zum Finale führten, als man merkte, daß die Sitzreihe in rhythmische Schwingung geriet, weil viele mit den Füßen oder Beinen mitwippten. Mit feinem Händchen zeichnete Yefim Bronfman Beethovens drittes Klavierkonzert, sublim, klarsichtig, romantisch – ein Geniestreich, für den Solist und Dirigent gefeiert wurden, sich aber auch gegenseitig feierten, den Lorbeer wollte Christian Thielemann nicht allein tragen…

Daß sich dies noch steigern läßt, zeigte die Staatskapelle nach der Pause. Von Beethoven, der die Initialzündung gab, sprangen sie mitten hinein in die Romantik zu Anton Bruckners A-Dur-Sinfonie. Erratisch, gewaltig, vielgliedrig. Immer neue Motive hat der Komponist verschlungen, immer neue Klänge. Schon der erste Satz ist voller Gegensätze: Hoffnung, denen Bruckner aber auch düster dräuende Bläser entgegengesetzt hat. Im feierlichen zweiten Satz schienen die Gruppen zu verschmelzen, als erste und zweite Violinen ihre Themen sangen – ein Kanon und Gipfelpunkt dieses Werkes. Auf meinen Knien lag die neueste Ausgabe von »Glanz und Klang« – es sind schlicht genau diese Attribute, für die man dieses Orchester, diesen Dirigenten liebt. So folgte auf das Beethoven- ein Brucknerfest. Bruckners Klangblöcken verlieh Christian Thielemann eine innere Bindung, brach aber auch Notenfasern auf, daß sich die Zuhörer im Detailreichtum verlieren konnten, oder staunend hörten, wie erst Hörner und Pizzicato, dann die Flöten im Wechsel brillieren, Oboen, Fagotte – Bruckner hat berauschende Klanggruppen geformt, Christian Thielemann versteht, diese noch aufzupolieren. »Glanz und Klang« und süffige Romantik offenbarten die Streicher selbst noch im Nachklang. Kein Wunder, daß alle verharrten – man müßte heute gleich noch einmal hingehen…

14. September 2015, Wolfram Quellmalz

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