Theater Cottbus schließt einen magnetischen Tristan-Zyklus
»Die Lust der Zerstörung ist zugleich eine schaffende Lust« Nein, dieses Zitat stammt nicht von Richard Wagner, obwohl ihm manche dieses wohl zutrauen würden, sondern von Michail Bakunin. Michail Alexandrowitsch Bakunin, Denker, Publizist und Anarchist, Revolutionär – 1848 nahm er an den Aufständen in Paris und Prag teil, 1849 in Dresden. Hier traf er mehrfach mit Richard Wagner zusammen. Trotzdem ist es nur eine Fußnote, daß die NMB die neue Tristan-Produktion des Staatstheaters Cottbus am 30. Mai besucht haben, an Bakunins 209. Geburtstag.

Gleich drei große Pluspunkte muß man dem Cottbuser »Tristan« zusprechen: eine griffige, gut umgesetzte Inszenierungsidee, eine überzeugende Besetzung mit Ensemblekräften und zugkräftigen Gästen sowie eine musikalisch lebendige, konzise Aufführung. Das sprach sich schnell herum (Premiere war bereits am 28. Januar, wir besuchten die Dernière), und so war der Saal auch am Dienstag wieder gut besetzt. Die Besucher kamen weit über das Umland hinaus sogar aus Hamburg.
Der Intendant des Staatstheaters Cottbus, Stephan Märki, hat die Handlung vom See- auf ein Raumschiff verlegt, ohne dabei aus dem Stoff eine Science-Fiction-Story zu machen. Vielmehr spiegelt sich (im wahrsten Sinn des Wortes, denn im Fensterglas des Raumschiffes erblickt man immer wieder GMD Alexander Merzyn) darin die zentrale Geschichte um so fokussierter, die Orte Cornwall und Burg Kareol werden in diesem Rahmen angedeutet. Damit bleiben Zeit und Ort unbestimmt und erhalten, eine direkte Umdeutung in konkret andere Zusammenhänge (wie das Heute) gibt es nicht.

Das eindrucksvolle Bühnenbild von Philipp Fürhofer (Mitarbeit: Anna Schöttl) nimmt in einer Art Neo-Stil sowohl die Architektur des Hauses als auch der frühen Science-Fiction-Filme auf, bleibt aber unaufdringlich und ansprechend dekorativ. Der Raum, der sich während der drei Aufzüge im Grunde nicht ändert, sondern allein via Projektionen (Video: Bahadır Hamdemir) und Licht (Diego Leetz) neue Orte schafft, umfaßt die handelnden Akteure szenisch jeweils eng. Die Verglasung wirkt wie Zerrspiegel, dehnt und verformt Figuren oder läßt sie verschmelzen – manchmal muß man erst schauen, wieviel Figuren dort sitzen oder stehen. Erst im Schlußbild werden der Weltraum bzw. die Sterne zur Handlungserweiterung für den Weg (wenn es denn einer ist), den Tristan und Isolde gehen – das hätte es schon gar nicht mehr gebraucht.
Anders als sonst bedeutet der Satz »musikalisch war es schön« also nicht, daß man zu Inszenierung, Bühnenbild und Kostümen nichts sagen müsse (oder sie gestört haben), sondern meint, daß es musikalisch (wirklich) schön gewesen ist. Und das muß man neben der starken Sängerbesetzung auch zuerst auf GMD Alexander Merzyn beziehen. Denn ihm gelang nicht nur eine präzise Begleitung, er sorgte immer wieder für echte Wagner-Atmosphäre, beflügelte das Philharmonisches Orchester des Staatstheaters zu einem dichten, kraftvollen, ausleuchtenden Klang – daß hier ein Orchester saß, das deutlich kleiner ist als jenes der Linden- oder Semperoper, war schnell vergessen. Statt dessen Wagner pur, zugespitzt, gefühlvoll und aufgeladen.

Mit Bryan Register (Tristan) und Catherine Foster (Isolde, zuletzt erlebt im Dresdner »Ring« unter Marek Janowski) stand ein mehr als prominentes Paar für die Titelrollen zur Verfügung, das hier mit ganzer Leidenschaft agierte. Ihre Strahlkraft schien manchmal noch an den größeren Bühnen gemessen, doch münzten beide dieses Über-Plus in Überzeugungskraft um und fanden nach und nach in gemessenere Gefilde. Beeindruckend vor allem Bryan Register, dessen heldenhafte Attitüde Risse und Brüche zu bekommen schien, nicht erst als Tristan verletzt und todkrank von seinem engsten Vertrauten Kurwenal gepflegt wird, sondern zuvor bereits, als ihn Zweifel plagen.
Einen ebenso starken Eindruck hinterließ Dimitry Ivashchenko (König Marke), dessen Baß mühelos raumfüllend schwebte – als Attribut der Souveränität für einen König nicht nur passend, sondern auch vom Publikum entsprechend goutiert. Übertroffen wurde das Trio noch von Annika Schlicht, was noch höher wiegt, wenn man bedenkt, daß sie mit Brangäne ein Rollendebut feierte. Die Unaufdringlichkeit, Klarheit, Einfühlsamkeit und auch hier Souveränität (aber nicht in der Figur, sondern auf die Stimme bezogen gemeint) waren erstklassig!
Mit Nils Stäfe (Melot und Ein Steuermann) sowie Hardy Brachmann (Ein Hirte und Stimme eines jungen Seemanns) wurde die Besetzung mit hauseigenen Kräften vervollkommnet, Andreas Jäpel bekam für seinen so wichtigen Part als Kurwenal einen gerechtfertigt großen Applaus. Sein verzweifeltes Bemühen um den Freund, den er (zu recht) schlafend oder im Fieberwahn findet, war von rührender Sorge geprägt.
Imponierend war, wie die starken Personenbezüge in der Inszenierung hervorgehoben und konzentriert wurden, auch wenn »draußen«, Sterne vorbeiflogen oder sich Supernovae vollzogen. Auf manches, weniges, hätte die Inszenierung verzichten können: bei den sonst schönen Kostümen (Hannah Barbara Bachmann und Philipp Fürhofer, Mitarbeit: Anna Wunderskirchner) schien das Aufleuchten in den Kleidern von Tristan und Isolde überflüssig – die Musik (Harfe) kündet doch vom Auflodern der Liebe beider. Und weshalb im letzten Bild alle außer dem Liebespaar um Jahre gealtert (oder um Zeitalter?) sind, ist nicht wirklich zwingend, verwirrt eher. Doch alles in allem kann man nur hoffen, daß Alexander Merzyn dereinst die Besetzung (oder eine vergleichbare) für eine Wiederaufnahme gewinnen wird.
1. Juni 2023, Wolfram Quellmalz