Kevin Zhu spielt die 24 Capricen von Niccolò Paganini
Einmal im Jahr treffen sich die beiden Musikfeste von Intendant bzw. Künstlerischem Leiter Jan Vogler, dann präsentieren die Dresdner Musikfestspiele und das Moritzburg Festival gemeinsam ein Programm auf Schloß Albrechtsberg. Gestern war es wieder soweit, als im Rahmen der »Meisterkonzerte« Kevin Zhu – regelmäßigen Moritzburg-Besuchern seit einigen Jahren gut vertraut – die Capricen Opus 1 von Niccolò Paganini spielte.
Seine Stradivari reizte der junge Amerikaner dabei gar nicht einmal bis ins letzte Quentchen aus, auch wenn ihm zweimal in der letzten Caprice – und beide Male an der gleichen Stelle, einem Pizzicato! – eine Saite riß. Zumindest war das Gefühl, das sich übertrug, nicht das von Überleistung und Berstgrenze, sondern von Mühelosigkeit. Zauberhaft strich, wischte, tupfte Kevin Zhu die kaum noch »Étuden« zu nennenden Stücke auf seiner Violine, pendelte schon die erste Caprice kontrapunktisch gleichgewichtig aus, verlieh dem Sostenuto (Nr. 3) besondere Leichtigkeit, ließ die vierte, Ole Bull gewidmet, im Nordlicht mild strahlen. Als wäre es weiter nichts, nahm Kevin Zhu Steigerungen, malte expressive Farben. Er selbst stand dabei, ohne extra Saallicht vor dem hellen Fenster, das zur Elbe blickt, wie ein Scherenschnitt – selbst dieser Vergleich scheint ins Bild zu passen.

Hetty Krist »Paganini«, Farblithographie
Die stupende Technik des Violinisten war verblüffend, etwa wenn er (Caprice Nr. 23) ein Presto federleicht zeichnete. Unangestrengt, mit schlankem Ton weiß Kevin Zhu den Charakter des Tons zu verändern, statt allein seine Kantabilität hervorzukehren. In manchem allerdings hätte er geheimnisvoller, feuriger, ja, »diabolischer« sein können – oder ist diese Erwartungshaltung allzusehr vom Bild des »Teufelsgeigers« geprägt? Für den Spannungsbogen wäre es wünschenswert, auch auf die vielen leichten (wenngleich freundlichen) Moderationen könnte Kevin Zhu verzichten oder sie zumindest reduzieren.
Immer wieder war der Ansatz zu tiefer Gestaltung aber bereits da: geheimnisvoll flirrte die Karol Józef Lipiński gewidmete sechste Caprice, fast veristisch aufgeladen die zwölfte, mit der Kevin Zhu das Konzert nach der Pause fortsetzte. Der Ansatz ist also da – man darf gespannt sein, wie der heute 23jährige Paganinis Werk in zehn, zwanzig Jahren interpretieren wird …
Neben der Technik verfügt der Geiger auch über ein gutes Maß – in der Dynamik ebenso wie das Zeitgefühl betreffend. So ließ er sich Zeit für ein Maestoso, um sich gleich darauf in irrwitzigem Tempo in ein Agitato zu stürzen.
Um Paganinis Capricen zu lernen, ist sicher eine Menge Fleiß nötig. Und weil Liebesleid zu Liebesfreud führen kann, gab es als Zugabe noch etwas Fritz Kreisler.
2. Juni 2023, Wolfram Quellmalz
Heute noch einmal: Meisterkonzerte, Kevin Zhu, 24 Capricen Opus 1 von Niccolò Paganini, 20:00 Uhr, Schloß Albrechtsberg (Dresden)