Christian Weiherer im Dresdner Orgelzyklus
In den letzten Wochen haben gleich einige Domorganisten dem Dresdner Orgelzyklus besondere Abende beschert. Am Mittwoch war Christian Weiherer (Dommusikdirektor und Domorganist am St. Mariendom Hamburg) in der Hofkirche (Kathedrale) zu Gast. Sein Konzert war gekennzeichnet vom beflügelnden Miteinander alter und neuer Werke – gleich zu Beginn ließ er William Byrds »The bells« direkt in James MacMillans »Gaudeamus in loci pace« übergehen. Tief und schwer, wie ein Ostinato oder eine Baß-Passacaglia erinnerten die auf die Orgel übertragenen Töne zunächst nicht von ungefähr an Arvo Pärt, gewannen jedoch über den meditativen Aspekt hinaus an Melodie und Helligkeit. Die Baßlinie von James MacMillans Friedenszuversicht fügte sich – trotz gut 400 Jahren Zeitdifferenz – bruchlos an William Byrds Werk, in der Oberstimme allerdings setzte der Komponist im zwanzigsten Jahrhundert dem Glockenton ein Spielmotiv gegenüber, das technisch, wie ein mathematisches Fraktal in den Raum »purzelte«. Das Stück ist dabei reizvoll und von hohem Wiedererkennungswert – regelmäßige Besucher der Orgelkonzerte erinnerten sich vielleicht an den Vergangenen Sommer (3. August), als James O’Donnell, Organist an Westminster Abbey, der damals noch von den Besuchen der Queen erzählte, das Werk ebenfalls im Programm hatte.

William Byrd (historisch nicht verbürgtes Kupferstich-Portrait von Nicola Francesco Haym und G. Van der Gucht, John Bull, Portrait eines unbekannten Malers, University of Oxford, Bildquellen: Wikimedia commons
Die konstruktiven Gegensätze blieben erhalten, mit John Bull (In nomine), dem 1989 geborenen Philipp Gras (»Not for sale«), noch einmal William Byrd (Fantasia in a) und Toon Hagen (»Shalom«) pendelte das Programm zwischen 16. / 17. Jahrhundert und heute. Und das ohne »Verlustgefühl«, denn auch die modernen Komponisten gewannen in dieser Zusammenstellung. Philipp Gras, der zunächst aus Clustern einen Klang, Spannungen entstehen läßt, die er aber auflöst, während Toon Hagen minimale Strukturen mit impressionitischen Partikeln kombiniert und in Wippfiguren ausführt. Geht man allein nach der »Schönheit«, gewannen sicher die Renaissancestücke, wie in William Byrds himmlischer Fantasia, die einen Abendschein darzustellen schien.
Solche Gegensätze verlangten nach einem besonderen Abschluß. Den bescherte Christian Weiherer mit Johann Gottfried Müthel und Johann Christian Heinrich Rinck. Zunächst erklang Müthels Phantasie in Es, in dem Christian Weiherer eine großartige Vielfalt und musikalische Freizügigkeit darstellte – schöner kann man es sich kaum denken, wenn eine Silbermann-Orgel erklingt!
Eine ganz andere Freizügigkeit wohnt dem ursprünglichen Text des französischen Liedes »Ah, vous dirai-je, maman« inne (der geneigte Leser möge sich doch bitte informieren, die Forschungstiefe darf gerne Wikipedia übertreffen). Insofern war Rincks Variationszyklus nebst vorangesetztem Thema und nachfolgendem Finale eine heitere Ergötzlichkeit, die statt eines morgen kommenden Weihnachtsmanns eher einen jammernden Klagechor evozierte – eine der Variationen, die gewollt tatsächlich ein wenig schief klang, war mit Vox humana und Tremulant registriert!
1. Juni 2023, Wolfram Quellmalz
Kommende Woche spielt Ludger Lohmann im Rahmen des Dresdner Orgelzyklus‘ in der Frauenkirche Werke von Max Reger, am 14. Juni besucht Stefan Kordes die Dresdner Kreuzkirche mit Werken von Buxtehude, Bach, Liszt und anderen. Im nächsten Konzert in der Hofkirche präsentiert Julia Raasch Stücke von Franz Schubert, Robert Schumann und Martin Sturm.