Dresdner Philharmonie läßt die Funken fliegen

Ligeti, Hillborg und Beethoven reißen Publikum von den Sitzen

Nach einem Monat Musikfestspielen, an einem Sommerabend und mit einem Programm, das neben zwei Werken moderner Musik »nur« mit Beethoven lockt, hätte man mit weniger Publikum und Begeisterung rechnen können, doch am Wochenende war im Kulturpalast das Gegenteil der Fall! Am Sonnabend füllte sich der Saal immer mehr, nicht zuletzt,  weil sich viele kurzentschlossen an der Abendkasse einfanden. Und dann zündete Andrew Manze ein Feuerwerk, wie es lange nicht zu erleben gewesen ist.

So ein Programm darf – ganz nebenbei – in seiner Lebhaftigkeit als Zukunftsmodell bleiben, denn neben György Ligeti, einem Jubilar der Spielzeit, gab es ein noch ganz frisches neues Werk sowie eine nicht weniger neue Sicht auf Beethoven. Wer glaubt schon, nach drei Zyklen der Philharmonie mit Markus Poschner, Kurt Masur und Michael Sanderling sowie Marek Janowskis ausgewählten Gegenüberstellungen von Sinfonien und Quartetten sei in Sachen Beethoven – Pandemie hin, Jubiläum her – das letzte Wort gesprochen? Mitnichten!

Partiturseite (Auszug) von György Ligetis »Atmosphères«, Bildquelle: Internetpräsenz des Rundfunk Sinfonieorchesters Berlin (RSB)

Die atemlose Spannung begann mit Ligeti. Sein bahnbrechendes »Atmosphères« bedarf der Fußnote, als Filmmusik von Stanley Kubrick verwendet worden zu sein, nämlich kein bißchen! Das wirklich große Orchester (incl. Klavier) zelebrierte die magische Klangsynthese, ließ ein Raumflimmern erwachen und die Bässe grollen, daß ein Film überflüssig wurde – viel spannender war zu beobachten, wer gerade spielte.

Bot Ligeti noch alle Atmosphären zwischen Ruhe und Erregung an, hakte sich Anders Hillborgs Konzert für Viola und Orchester, 2021 uraufgeführt, eindeutig bei der Erregung ein. Das »Konzert« entpuppte sich vielmehr als wahnwitzige, zwanzig Minuten anhaltende Étude für den Solisten. Bei Lawrence Power jedoch ist nicht nur der Name Programm, er ist auch ein Gestalter – was er beim Moritzburg Festival schon mehrfach bewiesen hat. Das Stück technisch zu beherrschen stand damit nicht im Vordergrund, vielmehr dessen Schwanken und Wandeln. Mit vielen Glissandi sorgte der Komponist für eine stetige Umformung, setzte mit scharfen Bartók-Pizzicati in den Kontrabässen Akzente, verfremdete den Klang, sodaß die Violinen im Flageolett das Kreischen vorbeiziehender Möwen zu imitieren schienen. Das »Tonangebot« allein macht aber noch kein Werk – wenn etwas neues so spannend dargeboten wird wie in der Partnerschaft Power – Philharmonie, darf man erfreut staunen!

Und kam daraus nicht heraus. Denn Dirigent Andrew Manze ist nicht zuletzt ein Alte-Musik-Fuchs und beherrscht das Spiel non vibrato par excellence. damit ging er noch einen Schritt weiter als Michael Sanderling in seiner Interpretation. Wie sich zeigte, führt die Reduzierung (oder der fast völlige Verzicht) aufs Vibrato nicht zu einer emotionslosen, faden Darbietung. Ganz im Gegenteil entfachte die Philharmonie unter Manzes Leitung einen unwiderstehlichen Sog, ließ Beethoven aufblühen, funkeln und sprühen. Und wahrte dabei maßvoll die Hitzegrade verschiedener Con fuoco. Mit ausgefeilten Gegenüberstellungen und dynamischen Kontrasten sorgte Andrew Manze für ein glitzerndes Panorama, polierte die Kanten jedoch fein und nahm ihnen übermäßige Schärfe – sein Vivace war schlicht superb, das abschließende Allegro con brio erfrischend. Jubel und ein stehend applaudierendes Publikum sagen vor allem eines: mit solchen Programmen soll Andrew Manze wiederkommen!

18. Juni 2023, Wolfram Quellmalz

Am kommenden Wochenende treffen bei der Dresdner Philharmonie Antonín Dvořák (Cellokonzert) und Jean Sibelius (fünfte Sinfonie) aufeinander. Mitwirkende: Pablo Ferrández (Violoncello) und Jaime Martín (Dirigent).

http://www.dresdnerphilharmonie.de

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