Böser Clown oder Alter Ego?

Sommerprogramm der Serkowitzer Volksoper in der Saloppe

Das Sommertheater der Serkowitzer Volksoper verspricht in jedem Jahr amüsante, geistvolle Stücke. Oper und Sprechtheater kreuzen und ergänzen sich hier zum gegenseitigen Gewinn. Stücke, die nicht zusammengehören, aber eine Geistesverwandtschaft aufweisen (»Don Giovanni« und »Diener zweier Herren«) oder unvollständig sind (Heinrich Schütz‘ »Dafne«) wurden in den letzten Jahren gekonnt adaptiert. Da darf man im Grunde mit gesundem Vertrauen in die Sommerwirtschaft Saloppe gehen – wetterfest ist die Freilichtbühne noch dazu.

Die Serkowitzer sind durchaus nicht die ersten, die Stücke ergänzen oder kombinieren. Vor einigen Jahren brachten die Lehramtsstudenten der Dresdner Hochschule für Musik eine ziemlich geniale Inszenierung auf die Bühne, die Antonio Salieris »Kleine Harlekinade« mit Boris Blachers »Die Flut« verband. Die »Harlekinade« ist ursprünglich kein eigenständiges Stück, sondern als Komisches Intermezzo Bestandteil der Oper »Axur, König von Hormus«. Ein Stück im Stück gab es also schon im 18. Jahrhundert, später, in der Strauss- und Busoni-Zeit, verquickten sie sich noch mehr. »Ariadne auf Naxos« ist das wohl bekannteste, aber nicht das einzige Beispiel dafür.

DAS STÜCK

In diesem Jahr nahm sich die Serkowitzer Volksoper Ferruccio Busonis »Arlecchino« (Alternativtitel: »Die Fenster«) an. Arlecchino, der Gruppe der Zanni aus der Commedia dell’arte entstammend, ist der freche (verfressene) Held, der sich alles herausnehmen darf (und herausnimmt). In der Tradition des Hofnarren (welchen allein erlaubt war, die Wahrheit zu sagen) ist er aber auch derjenige, der die Zeitläufe erkennt und seine Mitmenschen durchschaut. Nur will er die Welt durchaus nicht verbessern, sondern nutzt seine Gabe, sich durchzumogeln. Vom »größtmöglichen Gewinn« kann man dabei gar nicht reden – Arlecchino ist schlicht ein Lebenskünstler, der immer wieder den Situationen entkommt, die er selbst herbeiführt – Verantwortung tragen ist eher nicht seine Sache. Und seine Frechheit besteht oft darin, »ehrlich« zu sein (über die Treue: »ich steh‘ mit ihr auf schlechtem Fuß«). Denn im Spiegel der Gesellschaft sagt er oft nur das, was andere sich nicht zu äußern trauen – darin könnte man auch Anzeichen für Populismus entdecken. Immer wieder geht Arlecchino dabei zu weit – er schleicht sich an, mordet und schreit selbst »Mord!«, als sei er nur derjenige, der die Untat entdeckt hat …

Und so verführt Arlecchino bei Busoni nicht nur die Ehefrau Annunziata des Schneiders Matteo, er »verführt« noch diesen – oder führt ihn hinters Licht. Denn er rekrutiert Matteo für den Krieg gegen einen Feind, der gar nicht (so) existiert, sondern von dem nur er selbst behauptet, er stünde vor der Stadt.

Ferruccio Busoni schrieb später, da sein »Arlecchino« nicht abendfüllend war, eine zweite Kurzoper (»Turandot«), hatte aber auch Überlegungen, eine echte Fortsetzung anzufertigen. Die hat er nun vom Team der Serkowitzer Volksoper bekommen: Arlecchino saß 150 Jahre im Gefängnis, was ihn weder moralisch geläutert noch gebessert hat! Er kehrt zurück zu den Menschen, die er kennt, und paßt sich in Windeseile den neuen Verhältnissen an: jedem versprechen, daß er für dessen Interessen eintreten wird, Spendengelder sammeln, Bürgermeister(kandidat) werden …

INSZENIERUNG UND AUFFÜHRUNG

Zunächst einmal soll die großartige musikalische »Manipulation« (Zitat Serkowitzer Volksoper) gelobt werden. Denn die beiden Teile der Oper verbinden sich nicht nur glücklich, sie fügen sich fließend ineinander. Hier und da ragen Zitate heraus, neben Mozart und Prokofjew kehrt die Musik Ernst Kreneks, Franz Schrekers oder Rosy Wertheim bei Busoni ein. Erwin Schulhoff und Paul Aron fanden einst in Dresden ein Zentrum moderner Musik, Milko Kersten (Musikalische Leitung) führt dies so konsequent wie unterhaltsam weiter. Die Flexibilität, mit der Milko Kersten (»Tasten«), Karina Müller (Violine und Flöte), Daniel Rothe (Klarinetten und Saxophon) sowie Dietrich Zöllner (Kontrabaß und Violoncello) die Szenerie beleben, ist nicht nur erfrischend (alle wirken darüber hinaus als Perkussionisten mit), sondern auch authentisch.

Matteo (Yonah Raupers) ahnte wohl schon beim Pressegespräch, daß er vom Clown (Julia Böhme) nichts Gutes zu erwarten hat, Photo: NMB

Und das ist vielleicht noch wichtiger als in den Jahren zuvor, denn während man sich bei »Diener dreier Herren« oder »Dafne« vordergründig amüsieren durfte, ist der »Böse Clown« eine deutliche Satire – mitdenken ist nicht nur erlaubt, sondern gewünscht. Zwar wird es nicht so bitter wie in der »Dreigroschenoper«, aber das Zeitbild ist getroffen. Texte wie »Wir brauchen Drohnen, und blaue Bohnen, zum Schutz der ganzen Welt« grenzen ans Kabarett und prägen sich ein – auch wenn das Serkowitzer Team viel Wert darauf legt, »niedrigschwellige Angebote« zu machen, so darf man resümieren: Angebote im Sinne offener Türen immer, aber das Niveau sollte hoch bleiben.

Und das ist es geblieben. Unübertroffen ist (selbstverständlich) Julia Böhme in der Hauptrolle, die singend oder im Wort, aber selbst mit den Augen sprechen kann – ein verführerischer, gefährlicher Clown! Ganz der Commedia dell’arte gemäß darf es dann einmal derb-lustig werden, etwa wenn der Clown mit Annunziata (Dorothea Wagner) am offenen Fenster einen (köstlichen!) »Beischlaf« vollzieht (verdrehte Augen inclusive), während Matteo (Yonah Raupers) in anderen Sphären schwebt – wenn er Dante liebt, zeigt ihn das nicht nur als Leser in der Vergangenheit, er ist auch sonst recht weltfremd. Yonah Raupers, der Neuzugang des aktuellen Jahrgangs, zeigt sich dabei als spielfreudig, vielseitig und engagiert. Mal eben ein Salto rückwärts aus dem Stand? Kein Problem! Sein Singduell mit Colombina (Dorothea Wagner) ist ein weiterer Höhepunkt.

Die neuen Machthaber brauchen Drohnen und blaue Bohnen – zu wessen Wohl? Yonah Raupers und Wolf-Dieter Gööck, Photo: Serkowitzer Volksoper, © Robert Jentzsch

Philipp Schreyer (Abata und ein Sbirre), seit diesem Jahr als Vereinsvorsitzender in neuer Verantwortung für die Serkowitzer Volksoper, und Wolf-Dieter Gööck (Dottore, außerdem Inszenierung) gehörten schon in den letzten Jahren dazu. Sie alle stehen in verschiedenen Rollen auf der Bühne, so daß das Stück in Zeit und Ort wechseln kann – das Fünf-Personen-Ensemble bewältigt alles spielend! Tom Böhm (Ausstattung) und Mia Kersten (Maske) tragen das ihre dazu bei die Verwandlungen witzig und glaubhaft auszumalen. Nicht zuviel versprochen: Der »Böse Clown« bereitet vergnügliche Sommerabende.

Juni 2023, Wolfram Quellmalz

Noch bis Ende August: Serkowitzer Volksoper in der Sommerwirtschat Saloppe, »Böser Clown«, eine Manipulation nach Ferruccio Busoni. Ab September gibt es wieder das Programm »Kapitän Nemo«.

http://www.serkowitzer-volksoper.de/

Hinterlasse einen Kommentar