Nacht werdend

Julia Raasch beim Dresdner Orgelzyklus

Den Titel »Nacht werdend« konnte man – zumindest von außen betrachtet – schwer nachvollziehen, haben wir doch gerade die längsten Tage des Jahres, und selbst am Ende des Orgelkonzerts am Mittwoch schien die Nacht noch fern. Der Zusammenhang war mehr ein innerer. Julia Raasch hatte Stücke ins Programm für die Katholische Hofkirche (Kathedrale) genommen, welche Nachtgedanken aufgriffen, in Claude Debussys »Clair de Lune« ebenso wie in verschiedenen Nocturne. Das war literarisch interessant und anregend, auch nahm die Organistin den Begriff der »Nacht« nicht zu eng, schloß zum Beispiel eine eigene Bearbeitung von Schuberts »Der Tod und das Mädchen« ein.

Die Vielfalt und Fülle hatte bei Bach (Kyrie, Gott Heiliger Geist aus BWV 671) begonnen, nahm Clara (Nocturne aus den Soirées musicale Opus 6) und Robert Schumann (»Sheherezade« und » Fremder Mann« aus dem »Album für die Jugend«) auf und bot darüber hinaus manche moderne Stücke. Die Vielfalt und Fülle war erfrischend und abwechslungsreich, hätte aber mit einer strafferen Bindung vielleicht noch mehr Spannung gehabt als eine zwar reizvolle, aber doch teils lose musikalische Sammlung.

Immer wieder wirkten die Umschwünge so gestalterisch ausgeprägt wie anregend. Nach Johann Sebastian Bach wandte sich Julia Raasch mit Gustav Häggs »Aftonbön« (Abendgebet) einer ausgeprägt romantischen Komposition zu, deren noch weitere aus verschiedenen Jahrzehnten folgten, wie ein Nocturne von Edvard Grieg in der Bearbeitung von William Felton. Erfrischend wehte Nikolai Geršaks »Hævel« (Windhauch) durch die Hofkirche, es schien fast, als seien Fontänen darin eingeschlossen. Als besonders gelungen kann man die Präsentation der beiden Stücke von Robert Schumann bezeichnen, welche mit ihrer Pointiertheit überzeugten und dennoch den subtilen Charakter der Klavierfassung bewahrten.

Orgelspiel im Team: Julia Raasch (Mitte) mit zwei Assistenten, rechts: Domorganist Sebastian Freitag, Photo: NMB

Neben Nikolai Geršaks »Hævel« hatte Julia Raasch noch ein weiteres sehr neues Stück mit dabei: die »Liturgie eines Einsamen« von Martin Sturm. Hier nun durften gleich zwei Assistenten mitwirken, die Register zogen (auch langsam oder halb, um die Änderung des Klangs darzustellen), ein Metronom und Glöckchen (statt eines Zimbelsterns) bedienten. Klang wurde hier nicht nur in Einzeltöne zerlegt, sondern noch in weitere Partikel aufgespalten – hochinteressant!

30. Juni 2023, Wolfram Quellmalz

Julia Raasch spielt am 17. Dezember im Rahmen der Orgelkonzerte zum Advent in der Frauenkirche Dresden

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