Erató und Caritas

Besuch beim Sommerfest der Alten Musik in Prag

Der Sommer Alter Musik – Letní slavnosti staré hudby heißt es auf tschechisch – das mittlerweile 24. Fest hat sich in unserem Terminkalender verankert. Gestern fuhren wir wieder nach Prag, um Hannah Morrison und das Hathor Consort um Romina Lischka zu erleben. Mit »Erató und Caritas« hatten sie ihrem Programm einen sinnigen, vor allem aber auch sinnlichen Titel gegeben. Die Muse der Liebesdichtung traf auf aufopfernde Nächstenliebe – in der Musik nicht nur zentrale Themen, sondern mit tiefen Empfindungen verbundene Inhalte, die weltliche und christliche Liebe aufs innigste zu verbinden wissen. Im Festsaal von Schloß Troja (Zámek Troja) ließ sich dem um so tiefer nachspüren, denn die Texte – ob gesungen oder instrumental dargeboten – wurden von Hannah Morrison und dem Hathor Consort höchst emotional ausgedeutet.

Schloß Troja, Photo: NMB

Jede der vier Stimmen des Consorts (außer Romina Lischka / Gamben: Margit Übellacker / Psalter, Giovanna Pessi / Harfe sowie Fancis Jacob / Cembalo und Orgel) füllte individuelle Rollen aus, wobei schon hier die Mehrfachheit galt: zwar wechselten Margit Übellacker und Giovanna Pessi ihre Instrumente nicht wie Romina Lischka und Francis Jacob, doch reichten ihre Rollen vom sanften, mit dem Basso continuo verschmelzenden Ton bis zum tragenden Solo im Verbund, also unabhängig von Soli, die Harfe und Cembalo in den instrumentalen Überleitungen boten.

Wirklich berührend war nicht allein die Sinnentiefe, mit der die Texte vorgetragen wurden, der Eindruck verstärkte sich noch durch die Geschlossenheit des Programms, vor allem im ersten Teil. Denn Claudio Monteverdis »Nigra sum« (aus der »Marienvesper«) und »Signor, quell’infelice« (aus »L’Orfeo«), Barbara Strozzis »Surgite, surgite« (aus den Sacri Musicali Affetti Opus 5, Nr. 10) und die Kantate »L’Eraclito amoroso« sowie Giulio Caccinis Lieder »Dolcissimo sospiro«, »Amarilli, mia bella« und »Torna, deh torna pargoletto mio« folgten nicht »Nummer« auf »Nummer«, sondern waren durch kurze Stücke von Diego Ortiz (Recercada quarta), Johann Kaspar Kerll (Ricercar) oder Johann Hieronymus Kapsberger (Toccata arpeggiata) miteinander verbunden, am Beginn hatte eine anonym überlieferte Spagnoletta für die Einleitung gesorgt.

Das schloß gerade deshalb die gebundene Form, weil die Instrumentalstücke nicht nur gekonnt überleiteten, sondern auch für kleine Wendepunkte sorgten. Und die waren wichtig, denn im Zentrum standen zumeist die Affekte – die Hingabe der Liebe wie das Leid des Verlustes, die Erhöhung und Anbetung wie die Trauer – geistlich und weltlich, machten Hannah Morrison und das Hathor Consort deutlich, sind sich affektiv eben nah!

Hannah Mossison (Mitte), und das Hathor Consort, Photo: Letní slavnosti staré hudby, © Petra Hajska

Und das glaubwürdig. Musik hören ist das eine, die Stücke spüren ragt darüber hinaus. Das erlaubt es schließlich, doch auch rein musikalische Aspekte näher zu betrachten. Ein schönes Harfensolo etwa in Kapsbergers Toccata, oder wesentliche musikalische Stilmittel in der Musik des 16. und 17. Jahrhunderts. Dazu zählt zum Beispiel die Monodonie, also der solistische (Lied)gesang, für den Komponisten wie Giulio Caccini standen. Den Namen Claudio Monteverdi verbindet man im Gegensatz dazu mit einer überwältigenden Polyphonie, doch gibt es auch von ihm solistisch besetzte (oder interpretierbare) Titel. Ein anderes »Wirkungsmerkmal« sind strukturelle oder rhythmische Besonderheiten, typische Grundformen. Neben Ricercar oder Toccata kam immer wieder der Ostinato im Basso continuo zum Tragen, ganz besonders in Giovanni Felice Sances‘ Stabat mater, das sich mehrfach emotional über ostinate Begleitfiguren steigert, zwischen denen kontemplative Strophen stehen, die zum Verweilen einladen. Und wenn dem Publikum manches »orientalisch« vorkam, etwa in der anonymen Spagnoletta oder Sances‘ Stabat mater, so war dies nicht abwegig – über den Mittelmeerraum kamen damals Instrumente und Musik nach Europa, die Spuren hinterließen!

Photo: NMB

Die Affekte von Erató und Caritas reichten über alle Grade menschlicher Empfindungen, von höchster Erregung (Strozzi) über die dunkle Tiefe der Selbstvergessenheit (Monteverdi) bis zum hellen Jubel, der Freude oder Hoffnung ausdrückte. Im prächtigen Festsaal von Schloß Troja wirkte dies um so eindrucksvoller.

25. Juli 2023, Wolfram Quellmalz

Prag ist immer eine Reise wert. Vor dem Konzert bietet es sich an, die Altstadt abseits der Touristenpfade zu erkunden. Die Spielorte des Letní slavnosti staré hudby laden dazu ein. Als besonderer Tip sei den Lesern der NMB das Alfons-Mucha-Museum empfohlen – das Konzert fand an Muchas Geburtstag statt. Wir haben unsere Pläne kurzfristig umgestellt und besuchen zusätzlich das Konzert Musical Parnassus mit Hille Perl (Gambe), Christine Schornsheim (Cembalo) und Michael Freimuth (Laute) am Donnerstag im Kloster Strahov (Strahov Monastery).

https://www.letnislavnosti.cz/en/

https://www.mucha.cz/de/

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