Mahlers Ungestüm gebändigt

Sommertournée des Gustav Mahler Jugend Orchesters mit Jakub Hrůša zu Besuch in Dresden

Die Kooperation der Sächsischen Staatskapelle Dresden mit dem Gustav Mahler Jugend Orchester (GMJO) sorgt seit Jahren – man kann bald von Jahrzehnten sprechen – für einen gediegenen Saisonauftakt in Dresden oder ein Vorspiel mit Europas führenden Musikstudenten. Die Zusammenarbeit ist durchaus nicht nur symbolisch, sondern schließt nach wie vor Mentorentätigkeiten ein. Um so mehr ist es eigentlich zu bedauern, daß es Studenten der Dresdner Musikhochschule nur vereinzelt und nur alle paar Jahre ins GMJO schaffen – warum nur? Auch diesmal suchte man die hiesige HfM vergebend unter den Ausbildungsstätten der Studentinnen und Studenten, während allein von den mitteldeutschen Hochschulen Leipzig immerhin zweimal vertreten ist, Weimar (wieder!) viermal.

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Gustav Mahler Jugendorchester und Jakub Hrůša gestern im Dresdner Kulturpalast, Photo: Sächsische Staatskapelle Dresden, © Oliver Killig

Darüber hinaus sind zahlreiche Institutionen zwischen Wien, Zürich, Ljubljana, Paris oder Berlin vertreten – die Orchestermitglieder werden für jedes Jahr neu gefunden, die Verweildauer ist gering, jedoch gelingt es trotzdem, aus dieser Frische Potential zu schöpfen und den Verlust an Substanz durch den Weggang in der Erfahrung gewachsener Musiker zu kompensieren. Ein wesentlicher Pluspunkt des Orchesters – und hier scheint sein Gründer Claudio Abbado nachzuwirken – ist sein ausgezeichnetes Netzwerk, Geldgeber betreffend ebenso wie in bezug auf Dirigenten und Solisten.

In diesem Sommer tourt das GMJO jedoch ohne Solist durch Europa, wird von einem der aktuell aufstrebendsten Nachwuchsdirigenten geleitet: Jakub Hrůša. Den darf man bald nicht mehr in solche Kategorien wie »aufstrebend« und »Nachwuchs« einordnen – längst ist er etabliert! Mit seinem eigenen Orchester, den Bamberger Symphonikern vertritt er bereits einen Spitzenrang, den er als Musikdirektor der Royal Opera Covent Garden (ab 2025) noch ausbauen dürfte.

Da verwunderte es gestern im Dresdner Kulturpalast nicht, zu erleben, wie er mit ruhiger Hand den riesigen Orchesterapparat des GMJO für Gustav Mahlers neunte Sinfonie ordnete. Bemerkenswert, wie er und das Orchester die Spannung bis in den letzten Satz hielten! Dabei war – Handyklingeln und Applaus zwischen wirklich allen (!) Sätzen – im Saal eine gewisse Unruhe zu bemerken. Das Orchester war zum vierten von acht Tournéeauftritten bereits stark in seiner Homogenität gewachsen, einzelne Solisten, wie Horn (Antonn Descamps) oder Flöte (Marta Chlebicka) traten mit ebenso schöner wie stabiler und zuverlässiger Tonfärbung hervor, die Bindung innerhalb der Instrumentengruppen schien gleichermaßen eng und kompakt, ließ Violinen, Violen und andere als klar geformten Korpus erscheinen. Das entspannte den stetigen Wandel, der sich bei Mahler nicht nur zwischen sinfonischen und liedhaften Passagen, originären wie parodistischen Themen vollzieht, sondern vor allem einen manchmal irrational emotionalen Widerspruch aufzuspannen scheint – Jakub Hrůša hielt dieses Pendel stetig in Bewegung.

Der erste Satz, den das GMJO keineswegs als monumentalen Monolithen formte, hatte soviel Eigenständigkeit, daß der Zwischenapplaus an dieser Stelle beinahe zu verstehen war. Ärgerlich war er dagegen nach den folgenden Sätzen, denn die Unterbrechung hinderte, Mahlers verdrehte Form – zwei langsame Ecksätze und zwei Quasi-Scherzi in der Mitte – kontrastierter wahrzunehmen.

Am Ende fehlte nicht viel, vielleicht ein wenig die sinnliche, berührende Tiefe – doch dafür hätte es wohl eines weit erfahreneren, länger gewachsenen Orchesters bedurft (?). Was bleibt, waren Gestaltungsmerkmale wie die schön gestalteten Stufen (dritter Satz), der Spannungszuwachs, den Jakub Hrůša mit dem GMJO rein musikalisch hervorbrachte und nicht erzwang, und noch einmal die Entspannung im vierten Satz, der mit letzten Soli von Horn und Violoncello aushauchte.

22. August 2023, Wolfram Quellmalz

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