Sächsische Staatskapelle Dresden erklimmt mit Hindemith und Strauss schon zu Saisonbeginn Höhepunkte
(Artikel nach einem Datenverlust rekonstruiert)
So stellt man sich eine neue Spielzeit vor – zurück aus den Ferien, der Sommer umflort einen noch, blasen (auch im wahrsten Sinn des Wortes) die Musiker jede Ferienattitude hinweg und packen geradezu zu – mit Paul Hindemiths »Schwanendreher« und Richard Strauss‘ »Alpensinfonie« stehen im Grunde gleich zwei Sinfonische Dichtungen auf dem Programm des ersten Sinfoniekonzerts der Sächsischen Staatskapelle, nur daß beim einen (Hindemith) ein dezidierter Solist (oder Dichter) noch mehr den Vordergrund bereitet.

Antoine Tamestit und Christian Thielemann im ersten Sinfoniekonzert der Saison mit der Sächsischen Staatskapelle, Photo: Sächsische Staatskapelle Dresden, © Matthias Creuziger
Der Solist ist nicht irgendwer – Antoine Tamestit kehrt als ehemaliger Capell-Virtuos in einer Saison zurück, welche die Ehrenposition vorübergehend vakant läßt. Schon vorab freuten sich viele Besucher, denn der Bratschist wird nicht nur wegen seiner technischen Versiertheit und seines meisterlichen Ausdrucks geschätzt, er sorgt auf der Viola für eine überzeugende Vielfarbig- und Vielgestaltigkeit, die das Instrument noch einmal aufwertet. Chefdirigent Christian Thielemann hat es selbst studiert – ob er aber Jimi Hendrix (!) so spielen konnte wie Antoine Tamestit in der Zugabe, darf vielleicht bezweifelt werden (gerechterweise wollen wir ebenso bezweifeln, daß Antoine Tamestit eine Alpensinfonie so dirigieren könnte wie Christian Thielemann).
Den »Schwanendreher« präsentierten Solist und Orchester in geradezu bildhaften Episoden, wobei Antoine Tamestit die solistischen wie kammermusikalischen Möglichkeiten mit spielerischer Leichtigkeit ausfüllte, Übergänge mit Verve zeichnete. Nach dem bezaubernden einleitenden Suiten-Solo zu Beginn betörte am Anfang des zweiten Satzes das Duett mit Harfenistin Astrid von Brück. Das Orchester (hier ohne hohe Streicher besetzt) ließ keine Farbe missen, konnte volltönend, ja sogar mehrdeutig klingen. Zwischen Fagott und Streichern spannten sich Flächen und Konturen auf, Antoine Tamestit wußte sowohl weich zu zeichnen wie einmal karg und kantig Linien zu betonen – ein kleines Alpenidyll verbarg sich also schon hier.
Ein großes folgte nach der Pause. Und es begeistert, wie Christian Thielemann die Stimmen, mit und ohne Solo, hervortreten, gewähren ließ. Nicht nur am Beginn entstanden die exakten, deutlichen Bilder erst nach und nach – so wie in der Dämmerung, wenn sich scharfe Umrisse erst einmal einstellen müssen. Um so schöner ließen sich die Details verfolgen, wie sie (gerade in den Bläsern) aufkamen, sich verstärkten, hervortraten, schließlich in einer Homogenität aufgingen. Selbst ohne die »Kuhglocken« fiel es da schwer, sich keine Alpenlandschaft vorzustellen, nicht einen Sonnenaufgang, der plötzlich um einen Felsgrat herumgleißt … Der Bilder- oder Gipfelreigen schien gerafft, straff (trotz der Länge des Werkes) und elastisch – eine Spannung, die sich auf das Publikum übertrug!
Ob die regenfrischen Holzbläser (Oboe: Bernd Schober) oder winddurchfurchte Streicher – Christian Thielemann ist eine geradezu elementare Alpensinfonie gelungen, die als »Exportschlager« in Amsterdam, Luzern, Wien und Frankfurt gut ankommen dürfte.
2. September 2023, Wolfram Quellmalz