Kulturwirtschaft erfüllt Herzenswünsche schon vor Weihnachten

Charles Dickens‘»A Christmas Carol« in einer halbszenischen Lesung

Überz wanzig Jahre ist es her, daß der damalige Intendant des Staatsschauspiels Dresden, Holk Freytag, Charles Dickens‘ »A Christmas Carol« für die Weihnachtszeit inszenierte. Aufführungsort war das Palais im Großen Garten – eine geniale Idee! Hier konnte das Publikum auf Rampen um die Saalmitte sitzen oder hocken, das Geschehen passierte im Zentrum oder etwas seitlich in den Gängen. Das alte Gemäuer eignete sich vortrefflich, das viktorianische England und seine Geister zu imaginieren …

Photo: Kulturwirtschaft Kuhnt

Das in jedem Jahr neu im Spielplan verlängerte Stück (längst hätte es ersetzt werden sollen) kam wieder und wieder pünktlich zum Advent zurück, an Wochenenden mit zwei Aufführungen nachmittags und abends – stets alle ausverkauft! Denn das Publikum kam ja in jedem Jahr, mit Kindern, Freunden, Verwandten. Und so konnte man diskutieren, wer der bessere Scrooge sei – Lars Jung, der in die Rolle hineinschlüpfte, oder Philipp Lux, der sich dabei ein Stück ironische Selbstdistance bewahrte?

Um die 460 Vorstellungen sollen es im Laufe der Jahre gewesen sein – sagenhaft! So etwas nennt man »Weihnachtsklassiker«. Indes – vorbei! Die Pandemie unterbrach den Aufführungserfolg schmerzhaft. Noch bedauerlicher: Mit dem Wiederaufleben der Kultur kam »A Christmas Carol« beim Staatsschauspiel nicht zurück. Bemühungen darum soll es gegeben haben, eine Einigung aller Beteiligten, vor allem zwischen Staatsschauspiel und dem Palaisbetreiber, den Staatlichen Schlössern, Burgen und Gärten Sachsens, konnte aber offenbar nicht erreicht werden.

Auch in diesem Jahr warteten und hofften die Theaterbesucher umsonst – fast. Denn seit gestern gibt es einen kleinen Ableger des Erfolgsstücks. Holk Freytag hat das »Weihnachtslied« zu einer szenischen Lesung umgearbeitet, die an wenigen Terminen in der Kulturwirtschaft von René Kuhnt zu erleben ist. Der Gastraum im Areal des Kraftwerkes Mitte hat schon einige Veranstaltungen wie Konzerte beherbergt. An normalen Tagen wirkt er ein bißchen wie ein Blumenladen mit altem Mobiliar, Maschinenteilen, schwebt zwischen Originalität und Kitsch. Die Besucher haben die Wahl, sich ihre charakteristische Ecke zu suchen: Barhocker und Tischchen, ein Familienensemble oder eine große Tafel. Gestern gab es dazu vielleicht noch ein paar mehr echte Kerzen und jede Menge Atmosphäre.

Photo: NMB

Die Schauspieler sind jene aus der Originalproduktion: Lars Jung als Ebenezer Scrooge, Günther Kurze als Bob Cratchit und Erzähler, Marianna Linden als Belle oder Geist der vergangenen Weihnacht, Willi Sellmann spielt den jungen Ebenezer, aber auch seinen Neffen Fred – die Rollen sind nicht mehr so festgelegt im kleinen Ensemble, jeder schlüpft einmal in einen Mantel (oder heraus) und wechselt die Person. Dabei haben alle vier das Textbuch meist in der Hand – vom Theaterformat zur Lesung mußte Holk Freytag leider kräftig kürzen. Die köstlichen Szenen der betrunkenen Seeleute oder mit dem mißmutigen Scrooge in langen Unterhosen fielen Streichungen zum Opfer. Allerdings sorgte das Quartett, bestens unterstützt von Pianistin Ilka Kraske und einem Violinisten, dafür, daß man solche Fehlstellen nur nebenbei bemerkt.

Da möchte man sich fast fragen, ob Lars Jung das braucht: einmal im Jahr richtig böse sein dürfen und fluchen! Naja, schließlich bessert er sich (also Ebenezer Scrooge) ja, zuverlässig und pünktlich. Keine zwei Stunden brauchen die Akteure für die fünf Strophen des Weihnachtsliedes, bei denen man ebenso mitfiebert wie früher im Palais. Die Kulturwirtschaft sorgt neben dem Drumherum auch für Speisen und Getränke – kein Wunder, daß die Vorstellungen schnell ausgebucht waren. Da kann man nur hoffen, daß es weitere gibt. Und vielleicht gibt es dereinst doch eine Rückkehr in den großen Garten?

4. Dezember 2023, Wolfram Quellmalz

Heute und am 10. sowie 11. Dezember nochmals: Charles Dickens‘»A Christmas Carol« (sonntags zwei Vorstellungen 15:00 und 19:00 Uhr, montags 19:00 Uhr). Kulturwirtschaft Kuhnt im Kraftwerk Mitte

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