Dresdner Philharmonie feiert ein Bellini-Fest

»I Puritani« vom Publikum enthusiastisch gefeiert

Einmal im Jahr bricht die Dresdner Philharmonie aus dem Konzertrahmen aus und nimmt sich eines Genres an, zu dem sie als Nichttheaterorchester sonst keine Gelegenheit hat: Oper. In den letzten Jahren sorgten Beethovens »Fidelio«, Giacomo Puccinis »Il Tabarro« und Pietro Mascagnis »Cavalleria Rusticana« mit Chefdirigent Marek Janowski für Aufhorchen – zum Nachhören auf CD gebannt. (Darüber hinaus das Wagner-Ring-Projekt der letzten Spielzeit, das aber nicht auf CD erhältlich ist). Nach Marek Janowskis Amtszeit ist die Chefposition nach wie vor verwaist, auf die konzertante Oper müssen Philharmonie-Besucher aber nicht verzichten. Riccardo Frizza übernahm am Sonntag im Kulturpalast für »I Puritani« von Vincenzo Bellini die Leitung. Und – das vorab – das Konzert wurde wieder mitgeschnitten, wird zwar nicht bis Weihnachten, aber in einigen Monaten auf Tonträger zu haben sein.

»I Puritani« im Dresdner Kulturpalast. Von links: Roxana Constantinescu (Enrichetta), Lawrence Brownlee (Arturo), Jessica Pratt (Elvira), Roberto Zanellato (Sir Giorgio Valton, Elviras Onkel), Martin-Jan Nijhof (Lord Gualtiero Valton, Elviras Vater) und auf der Orgelempore: MDR-Rundfunkchor, Photo: Dresdner Philharmonie, © Oliver Killig

Der Mitschnitt bedeutete für das Publikum, auf störende Geräusche möglichst zu verzichten. Das meiste »Schnittmaterial« dürfte jedoch beim Applaus anfallen, denn davon gab es jede Menge – mit Begeisterung! Dabei hatte das Projekt noch am Sonntagmorgen auf der Kippe gestanden: Sopranistin Lisette Oropesa mußte wenige Stunden vor Beginn krankheitsbedingt absagen. Schnell einen Ersatz zu finden, ist niemals eine leichte Aufgabe, erst recht nicht, wenn die Oper im Bellini-Kanon hinter »Norma« und »La sonnambula« nur an dritter Stelle steht. Wer also hätte die Rolle der Elvira »drauf«? – Jessica Pratt! Sie gebürtige Britin hatte sie nicht nur »drauf«, sondern räumte damit – ohne eine einzige Probe! – regelrecht ab.

DER OPERNSTOFF

Das gute Ende wohnt ungewöhnlicherweise dem Stück bereits inne. In Kurzfassung: Arturo, den Elvira liebt, rettet am (geplanten) Hochzeitstag Elviras Enrichetta, die Tochter eines hingerichteten Stuartkönigs, vor dem Tod, indem er ihr zur Flucht verhilft. Ihre Verkleidung – Elviras Brautkleid – sorgt jedoch für eine Verwechslung und dafür, daß man Arturo wegen Verrats anklagt und zum Tode verurteilt, selbst Elvira ist schließlich von seinem Treuebruch überzeugt. Glücklicherweise bekommen alle Beteiligten die Gelegenheit zu Einsicht bzw. Rehabilitation, der Weg zum Glück für Elvira und Arturo ist frei …

DIE AUFFÜHRUNG

Mit »Belcanto« verbindet man dem Namen nach schönen Gesang, der sich gerne in dramatische Höhen winden darf. Die Verworrenheit mancher Geschichte wird dabei nebensächlich, auch der patriotische Wortlaut von »I Puritani« war am Sonntag eher Nebensache, schließlich ist das England des 17. Jahrhunderts um Oliver Cromwell und Charles I. nicht viel mehr als die historische Folie einer Liebesgeschichte.

Und genau auf diese zielte das Feuerwerk, das Riccardo Frizza mit der Dresdner Philharmonie zündete. Mit Konzertmeister Kei Shirai als Gast ließ das Orchester die Farbe lodern, Stimmungen flackern, begeisterte mit einer ungeahnten Italienità – die Lebendigkeit kennt man von der Philharmonie, aber solche Flexibilität und Spannkraft war überwältigend! Und dabei immer zielgerichtet und -genau. Riccardo Frizza als gewiefter Opernmaestro ordnete eben nicht das Orchester dem Gesang unter, sondern verband die Stimmen – vokal und instrumental – sinnlich. In diesem Gefüge begeisterten immer wieder die Farben der Mischung, von Flöten und Oboen zum Beispiel, oder von Klarinetten und Fagott, die Violingruppe, welche die Sänger geschmeidig umfing. Alles von einem feinen Puls des Rhythmus‘ getragen, aus dem ebenso spontan wie folgerichtig (dem Verlauf des Opernstoffes entsprechend) dramatische Spitzen wuchsen.

Ähnliches läßt sich vom MDR-Rundfunkchor (Einstudierung: Tilman Michael) sagen. Auch er ist schon oft Gast gewesen, für konzertanten Bruckner zum Beispiel. Um seine Qualität in Verständlichkeit, Ausdruck und Präsenz wußte man also. Doch die Vitalität, mit der er hier agierte, wiewohl stehend (also statisch) im Chorrang platziert, war phänomenal!

Unter den Solisten begeisterte zuvörderst Jessica Pratt, ohne einen Einspringerbonus benötigen zu müssen. Verblüffend mühelos gelangen ihr nicht nur die einfühlsamen Liebesworte Elviras, sondern auch deren emotionalen Aufwallungen. Wie sie sich in Stufen auf der Skala des Wahnsinns »nach oben schraubte« (und glücklicherweise zurückfand) war atemberaubend und konnte zu Tränen rühren.

In seiner Emotionalität und seiner Unwiderstehlichkeit war ihr Anthony Clark Evans als Riccardo (der Elvira ebenfalls liebt und ihr zunächst als Gatte zugedacht ist) ebenbürtig. Riccardos Spagat liegt darin, den Freund Arturo erst zu verurteilen, ihn später aber zu begnadigen bzw. sich – durch Einsicht – als Freund zu erweisen.

Lawrence Brownlee als Arturo schien – von Mozart kommend – mit seinem mehr lyrischen Tenor manchmal wie aus einer fremden Welt – was zum gütigen, mitleidvollen Arturo gut paßt. Sein Monolog nach monatelanger Rückkehr (Beginn des dritten Aktes) ging unter die Haut! Im Vergleich mit den anderen Solisten fiel dennoch auf, daß er gegen Ende etwas »stemmen« mußte.

Ebenfalls herausragend unter den vielen Solisten war Martin-Jan Nijhof als Elviras Vater. Die Rolle bot Passagen, in denen Martin-Jan Nijhof – ähnlich dem Germont in La Traviata – die Zerrissenheit der Figur, sein Wanken zwischen Pflicht und Vaterliebe, verdeutlichte.

Gerade weil sich die konzertante Oper nicht auf die Glanz- oder Wahnsinnsarien verließ, sondern auf das Zusammenspiel des Ensembles und des Chores, gelang es so packend! Eine blühende Interpretation, eine Oper mit »Happy End« – was wünscht man sich da noch zum Weihnachtsfest? Vielleicht etwas Belcanto für die nächste Spielzeit und der Philharmonie einen bleibend »guten Draht« zu Riccardo Frizza.

11. Dezember 2023, Wolfram Quellmalz

CD-Tip: Opernaufnahmen mit der Dresdner Philharmonie: Ludwig van Beethoven »Fidelio« (mit Lise Davidsen, Christian Elsner, Georg Zeppenfeld, Günther Groissböck, Christina Landshamer, Johannes Martin Kränzle), Giacomo Puccini »Il Tabarro« (mit Melody Moore, Lester Lynch, Brian Jagde, Khanyiso Gwenxane, Roxana Constantinescu), Pietro Mascagni »Cavalleria Rusticana« (mit Melody Moore, Elisabetta Fiorillo, Brian Jagde, Lester Lynch, MDR Rundfunkchor Leipzig), alle unter der Leitung von Marek Janowski, erschienen bei Pentatone

ebenfalls erhältlich: Franz Schubert, Sinfonien Nr. 8 (»unvollendete«) und 9 (»große C-Dur«), Dresdner Philharmonie, Marek Janowski, Super Audio CD, Pentatone

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