»Oboisten sehen immer angespannt aus«

»Tristan und Isolde« mit Richard Vardigans

Im kommenden Jahr kann der Dirigent, Musikwissenschaftler, Pianist und Opernerklärer Richard Vardigans sein zwanzigjähriges Jubiläum feiern – 2005 gründete er das Format »Oper mal anders«, das ohne Requisite und Kostüme auskommt. Musik und Handlung werden vom Flügel aus dargeboten, in Auszügen, mit historischen Fakten, Hintergrundinformationen und Anekdoten geschmückt. Manches wird dabei korrigiert, etwa die in vielen Textbüchern wiedergegebene Handlungsanweisung, Tristan stürze sich am Ende des zweiten Aufzuges in Melots Schwert – nein, weiß Richard Vardigans, falsch! Tatsächlich läßt er nur sein Schwert fallen und steht, nachdem sein heimliches Treffen mit Isolde entdeckt ist, Melot gegenüber, ohne sich zu verteidigen.

Richard Vardigans, Photo: © Sabine Rentzsch

Tristan heiratet Isolde, König Marke Brangäne, und Kurwenal und Melot gehen eine eingetragene Partnerschaft ein. So hätte Wagner schreiben können, schlägt Richard Vardigans am Beginn der Sonnabendnachmittagsvorstellung im Kanonenhof vor. Der Tristan-Akkord ist eines von vielen Beispielen, die er aus dem Yamaha-Flügel schweben läßt. Vieles ist so bekannt, daß Kenner den Orchesterklang sofort im Ohr haben. Beim Text wird es schon schwieriger. Wagners verwobene Verse sind nicht unbedingt eingängig und in ihrer Komplexität eine Herausforderung, doch der Opernerklärer hat sie parat, kann sie zitieren, deuten, enträtseln.

Gleiches gilt für die Musik, die nicht allein auf Motivik reduziert werden darf. Wagner schafft Stimmungen, leiht sich durchaus einmal aus (bei sich selbst) und setzt einzelne Tonfolgen wie Intarsien in sein Kunstwerk. Richard Vardigans verknüpft Handlungserklärung mit kompositorischen Zeichen – Kadenzen, fallenden und aufstrebenden Quinten (welche den realen Namen Tristan das Anagramm des Decknamens Tantris gegenüberstellen). Und immer wieder gibt es musikalische Fehlschlüsse, unerwartete Akkorde. Jeder von ihnen, scheint es, sorgt für eine zusätzliche Verzweigung, sorgt nicht zuletzt dafür, daß das Happy-Ende ausbleibt und die Oper viereinhalb statt eineinhalb Stunden dauert. Da wächst selbst die Zusammenfassung von »Oper mal anders« auf immerhin eineinhalb Stunden Länge.

In dieser Zeit entfernt sich Richard Vardigans manchmal ein wenig vom Stoff, fragt einmal philosophisch, was der Tod bedeutet, ob er einfach nur das Gegenteil von Leben sei, kehrt aber bald wieder zurück, um bei der Hirtenmelodie (dritter Aufzug) zu erklären, daß diese eigentlich von einer Schalmei gespielt werden müsse, in der Oper aber von einem Englischhorn übernommen werde. Und fügt hinzu, daß Englischhornisten immer einen entspannten Eindruck erweckten, während Oboisten immer angespannt aussähen [was mit der kraftraubenden Atemtechnik zu tun hat, Anm. d. Rezensenten].

Die Balance zwischen Werkerklärung, Theorie, unterhaltsamer Erklärung und Querverweisen auf andere Werke wie Don Carlos oder Mozarts Figaro gelingt, auch wenn ein »Erklärnachmittag« zwangsläufig immer ein wenig akademisch bleibt, die Oper nicht ersetzen kann. Soll er ja gar nicht – »Oper mal anders« in der Regel beliebte Klassiker oder (als Vorbereitung) jene Stücke, die demnächst (wieder) auf der Bühne stehen.

21. Januar 2024, Wolfram Quellmalz

Richard Vardigans erklärt »Oper mal anders«, wieder am 24. Februar (»Die Entführung aus dem Serail«), 16. März (Programmänderung: »Der fliegende Holländer«) und 20. April (»Othello«). Kanonenhof (Brühlscher Garten 4), Eintritt: 15 Euro (ermäßigt 12,-, Schüler und Studenten 8,-)

http://www.talking-about-opera.de

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