Romantik auf dem Gipfel

Matthias Grünert präsentierte Deutsche Orgelromantik

Wann eigentlich begann denn die Romantik? Bei genauerer Betrachtung stellt man (erstaunt?) fest, daß Künstler und Werke in ihren Epochen ganz unterschiedlich wahrgenommen werden. So unterscheidet sich die Epoche der Romantik (scheinbar) teils deutlich in Malerei, Musik und Literatur. E. T. A. Hoffmann zum Beispiel, als Literat der Inbegriff der Romantik, gilt in seinem Schaffen als Komponist vielen noch als Vertreter der Klassik – vielleicht liegt es aber auch daran, daß sich zwischen 1750 und 1850 enorm viel ereignete, gleich viele Phasen, Epochen und Umbrüche auszumachen sind.

Kaum zwanzig Jahre nach Wolfgang Amadé Mozart zum Beispiel wurde Caspar David Friedrich, der Maler der Romantik schlechthin, in Greifswald geboren. Sein Werk hätte gestern bei vielen Stücken, die Frauenkirchenkantor Matthias Grünert im Konzert des Dresdner Orgelzyklus‘ spielte, Pate stehen können.

Eines der erfindungsreichsten und erquickendsten Stücke hatte Matthias Grünert gleich an den Anfang gesetzt: In Fantasie und Fuge a-Moll (Opus 19) von Ernst Friedrich Richter verbanden sich Ornamentik, wachsende Tiefe und ein feinsinniges Schimmern. Auf die freizügige Fantasie folgte eine Fuge, die zunächst mit einem abwärts gerichteten Motiv überraschte, sich aber bald aufwarf und an Kraft gewann.

Frauenkirchenkantor Matthias Grünert vor dem Instrument des Abends, Photo: © Anja Schneider)

Mit Felix Mendelssohn erklang danach ein Komponist an der Kern-Orgel der Frauenkirche, der als Klassiker der Romantik wohl gleich viele Attribute verbindet. Zudem erwies sich seine vierte Orgelsonate (d-Moll / Opus 65) über den Choral »Vater unser im Himmelreich« als am weitesten durchkomponiert und vermittelte den geschlossensten Eindruck. Und überraschte dennoch, denn unter den Händen und Füßen von Matthias Grünert berührten die Variationen ein expressives Ausdrucksspektrum – ähnlich, wie es in Caspar David Friedrichs »Das Kreuz im Gebirge« zu sehen ist. (Freilich ist dieses Bild stilistisch ein wenig umstritten.)

Mit Josef Gabriel Rheinbergers Nr. XIV folgte gleich noch ein Gattungsbeitrag (C-Dur Opus 165). Fast ein halbes Jahrhundert nach Mendelssohn jedoch war die Sonate nicht nur deutlich gewachsen, sie nahm bereits sinfonische Züge an. Allein das Praeludium könnte für sich stehen, spielt mit Licht und polyphonen Farben. Auch der zweite Satz (Idyll) schien im Licht zu bleiben – also doch Caspar David Friedrich?

Caspar David Friedrich »Das Kreuz im Gebirge« (»Tetschener Altar«, 1808, 115 × 110,5 cm, Öl auf Leinwand, Staatliche Kunstsammlung Dresden, Galerie Neue Meister), Bildquelle: Wikimedia commons

Mit der letzten Sonate des Abends gab es noch einmal eine Überraschung, oder derlei viele. Denn Camillo Schumanns Opus 67 (F-Dur) offenbarte in seiner Vielgestalt vieles – von virtuosen Sprüngen über Stimmungsbilder bis zu romantischer Kantabilität (Chalumeau im Andante). Statt des zu erwartenden Scherzos fügte Schumann an dritter Stelle ein Allegro Appassionato ein, dessen romantisches Leuchten Matthias Grünert unterstrich. Die abschließende Fuga / Allegro moderato über den Choral »Lobe den Herren« scheint an sich so gar nicht zum Werk zu gehören und könnte wohl (wie Rheinbergers Praeludium) für sich stehen. Die teils überraschenden Tonartsprünge nutzte der Komponist hier, um das Choralmotiv vom Duktus einer Frage zur Zuversicht seiner Aussage (also positivem Lobgesang) zu führen.

22. Februar 2024, Wolfram Quellmalz

Nächste Konzerte des Dresdner Orgelzyklus: Am kommenden Mittwoch schließt Domorganist Sebastian Freitag den Eröffnungszyklus mit »Königsfanfaren« an der Hofkirche ab. Domorganistin Mahela T. Reichstatt läßt am 6. März in der Kreuzkirche vor allem »Fantasien« erklingen. Sieben Tage später setzt Thorsten Pech (Wuppertal) in der Frauenkirche »Amitiés — Freundschaften« in deutsche und französische Orgelmusik.

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