Doppelt guter Start

Susanna Mälkki debütiert bei der Sächsischen Staatskapelle mit einer Uraufführung

Mit dem Sinfoniekonzert präsentierte sich der aktuelle Capell-Compositeur der Sächsischen Staatskapelle Dresden, Georg Friedrich Haas, zum vierten und (leider) schon letzten Termin. Seine Residenz ist insofern bemerkenswert und bereits positiv einzuordnen, daß sie vom Publikum nicht nur wohlwollend, sondern anerkennend und erfreut aufgenommen wurde. Darüber hinaus gab es nach dem Kammerabend zu Beginn nun auch in der Sonntagsmatinée eine Uraufführung – manche Spielzeit davor war nicht von so viel Neuem, Zugewandtem gekrönt!

Georg Friedrich Haas, aktueller Capell-Compositeur der Sächsischen Staatskapelle Dresden, Photo: © Harald Hoffmann

Dabei ist »I don’t know how to cry« für Orchester durchaus kein leichtes Stück, schon wegen seines Ursprungs nicht. Anläßlich eines gemeinsamen Abends reflektierten Georg Friedrich Haas mit Frau und Freunden über die gegenwärtigen Katastrophen, die uns alle bewegen. Das Fazit fiel nicht positiv aus – »I don’t know how to cry« (Ich weiß nicht, wie ich noch weinen soll) lautet der Titel eines Gedichts von Jill Carter, das Inspiration für Haas‘ Werk wurde. Ganz grundsätzlich »negativ« wurde das Stück zwar nicht, jedoch wohnt ihm ein Niedergedrücktsein, die Ausweglosigkeit, Hilflosigkeit inne, die nicht einmal zum befreienden Schrei findet.

Und doch konnte sich das Werk durchsetzen – bei Musikern und Publikum. Denn den einen fordert es höchste Präzision ab, mit kleinsten Tonschritten (bis in Sechstel) und teils um Vierteltöne verstimmten Instrumenten (Harfen), den anderen servierte es (erneut) weniger Verlauf und greifbare Struktur als den einem Wandel unterworfenen Klang. »Klangteppich«, diese Vokabel hörte man in der Pause mehrfach. Oft waren es akkordische Schichtungen, die trennten und verbanden, in einem eindrucksvollen Tutti wuchsen. Auch der Einsatz von Clustern war hier fast exemplarisch (farbig!) nachzuvollziehen – Georg Friedrich Haas hatte den Programmhefttext selbst geschrieben und damit eine Tür für die Annäherung geöffnet.

Susanna Mälkki mit der Sächsischen Staatskapelle, Photo: Sächsische Staatskapelle Dresden, © Markenfotografie

Der Sächsischen Staatskapelle gelang unter der Leitung von Debütantin Susanna Mälkki nicht nur eine großartige Präzision, sondern eine beeindruckend sinnliche Klangsynthese. In drei Abschnitten zeichnet Haas Formen nach, denen eine große, niemals reißende Spannung innewohnt. Zweimal gibt es ruhige Zwischenebenen, die fast idyllisch klingen, an Strauss erinnern (Alpensinfonie, Also sprach Zarathustra) oder gar Wagner. Da schien kurz das Rheingold zu blinken, jener magische Stoff, aus dem eine Welt erwuchs, die später jedoch unterging. Letztlich führt kein Werk aus der Krise, selbst wenn es Beispiele gibt (Schütz und Schumann, um nur zwei Dresdner zu nennen), selbst unter schlimmsten Erfahrungen schönstes zu schöpfen – Kunst hat ad hoc eben keine Aufgabe, keinen Zweck zu erfüllen. Obwohl zwischendurch aufwärts gerichtete Glissandi wie eine Chance durchschimmerten, kehrte die Abwärtsbewegung des Angangs wieder, die Rhein-Harfen, gewollt gegeneinander verstimmt, sanken herab.

Da war es nicht nur programmatisch, sondern auch der Charakteristik wegen gut, daß noch ein Werk folgte. Franz Schuberts »Große« C-Dur-Sinfonie (D 944), die mit ihrer schieren Ausstattung und instrumentalen Größe mit Susanna Mälkkis eine unwiderstehliche Kraft entwickelte, noch abseits beschwingt-tänzerischer Formen. Die Präzision behielt sie bei, vor allem in der Zeit – keine »Hetz«, sondern natürliche Entwicklung. So durfte sich aus dem Andante ein zauberisches Nocturne schälen und mit der Kraft des Andante neu amalgamieren – vielleicht zeigt ja Schubert Auswege aus der Krise?

Man könnte so meinen, so hoffen – weil »Woher?« und »Wohin?« immer zusammengehören, paßten Haas und Schubert diesmal wunderbar. Fast schon delikat, wie Susanna Mälkki noch im Schlußakkord ein leichtes Decrescendo servierte.

14. April 2024, Wolfram Quellmalz

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