Masterprojekt von Adele Pätz bezauberte mit Traumbildern
Das »Ausgangsmaterial«, Karol Szymanowskis »Die Mythen« für Violine & Klavier, ist nur gut einundzwanzig Minuten lang. In drei Sätzen zeichnet der Komponist in seinem Opus 30 eher drei Bilder als drei Episoden nach: »Die Quelle der Arethusa«, »Narziß« und »Pan und die Dryaden« werden nicht en détail charakterisiert oder in einem Handlungsverlauf nachgestellt, vielmehr gibt Szymanowski jeweils eine Stimmung wieder. Hier jedoch öffnet er auf der Violine mit Vierteltönen und impressionistischen Verzweigungen Welten, die jenen Debussys auf dem Klavier vergleichbar sind. Für die Violinistin Adele Pätz sorgte die Erstbegegnung mit den Mythen für eine Initialzündung, die am Freitag mit einer Aufführung im Konzertsaal der Dresdner Musikhochschule in eine impressionistische Expression mündete, oder, wie die Musikerin selbst es nannte, in ein Multisensorisches Musiktheater. Denn neben dem Klang und vielfältigen Bildern – die sich Traumwelten näherten – wollte sie auch andere Sinne einbeziehen.
Ob dies vollends gelungen ist, steht dabei zunächst gar nicht vordergründig zur Debatte, denn das einmalige Ereignis soll und darf ein Versuch sein, dessen Ergebnisse unterschiedlich ausfallen und bewertet werden. Entscheidend ist, abgesehen davon, daß Adele Pätz tatsächlich verschiedene Sinne ansprach, daß sie ganz unterschiedliche Teilnehmer und Probanden einbezog und ihnen ganz eigene Entfaltungsfelder zuwies. Jeder der ursprünglich drei Sätze wurde mit einer eigenen Gruppe realisiert, wobei die Musik auch »aufgebrochen« wurde. Es ging also nicht darum, zum Spiel von Violine und Klavier nur Bilder oder Gerüche zu liefern, sondern eine Szene zu entwickeln, in welche die Musik, mitunter bruchstückhaft und aufgetrennt, eingewoben wurde.

Den zauberischsten Effekt gab es vielleicht im ersten Bild mit Teilnehmern der Heilpädagogischen Schule Bonnewitz. Quallenwesen hingen von der Decke, Projektionen schufen Unterwasserwelten. Die Darsteller und Künstler, teilweise mit Handicaps belastet (etwa im Rollstuhl sitzend) tauchten mit Bewegung und Artikulation regelrecht in diese Welt ein, vor allem: sie wurden, so unterschiedlich und individuell sie waren, als Gruppe eine Wesenheit (womit Adele Pätz eine Entsprechung für Szymanowskis Stimmungen gefunden hat). Auch die Musik kam nicht nur von den beiden Spielerinnen (Hiroko Takafuji begleitete am Klavier), sondern wurde unter anderem mit Klanghölzern gespielt.
Das Wesenhafte, die Wesenheit, stand ebenso im Mittelpunkt des zweiten Teils. Die »Fiedler«, ein Streichensemble der Kreismusikschule Dreiländereck, waren zunächst einzeln per Video zu sehen, wie sie Narziß‘ Spiel mit dem Spiegelbild mit einem realen Spiel nachvollzogen (diese Sequenz, da als Video künstlich und durch Wiederholschleifen gedehnt, war einzig etwas lang). Daran schloß sich das eigentliche Spiel auf den teils kleinen Violinen (für die kleinsten in Kindergröße) an, die einen gemeinsamen Ton fanden und im doppelten Sinn durch den Saal schwirrten sowie die Spiegelbilder lebendig werden ließen, als sich jeweils zwei Mädchen gegenüberstanden. Beim Herumschwirren im Saal verteilten sie Duftplättchen – oder waren es Teichrosenblätter?

Mit dem Chor Singasylum für den dritten Teil erfuhren Farben und Tanz bzw. eine koordinierte Bewegung einzelner sowie der Gruppe eine besondere Betonung. Und wie bei den Teilnehmern der beiden Teile zuvor war auch der Chor nicht in seiner üblichen, grundlegenden Form festgeschrieben, sondern hatte mit Sprechpassagen und Klanggläsern ebenso den multisensorischen Eindruck zu bereichern.
Der größte Gewinn des Projektes lag wohl vor allem darin, wie sich die Beteiligten mit ihren individuellen Voraussetzungen entfalten konnten – wie schön, daß alle drei Gruppen für das Schlußbild noch einmal zusammenkamen!
22. April 2024, Wolfram Quellmalz