Übungssache?

Klavierpodium mit Etüden lud zur Entdeckungsreise ein

Podiumabende an der Musikhochschule sind für Kenner eine wunderbare Gelegenheit, zu erleben, was in verschiedenen Ausbildungszweigen des Hauses entsteht und dabei Musik zu genießen. Normalerweise stellen sich die Studenten einer Klasse mit einzelnen Stücken vor. Anders als im echten Konzert erklingen aber nicht ganze Werke, sondern einzelne Sätze, und statt eines Orchesters begleitet ein Korrepetitor die Solisten am Klavier. Das gebotene Niveau ist oft verblüffend.

In den letzten Jahren haben verschiedene Professoren begonnen, über den »Stand der Dinge« (der normalerweise geboten wird) hinaus ein geschlossenes Programm mit aufeinander abgestimmten Stücken zu präsentieren. Hinrich Alpers unternahm mit seiner Klavierklasse bereits Erkundungen zu Bach oder Claude Debussys Images. Mit dem Programm »Etüden! Etüden?« waren seine Studenten sogar in die Klangmanufaktur Hamburg und den Piano Salon Cristofori Berlin eingeladen (letzteres übrigens just einen Tag nach dem Geburtstag von Bartolomeo di Francesco Cristofori, dem Erfinder des modernen Klaviers). Nach dem kleineren Saal in Hamburg und dem auf historische Tasteninstrumente spezialisierten Salon in Berlin gab es das Konzert am Montag im Konzertsaal der Musikhochschule noch einmal – die dritte Aufführung, aber auch die dritte Situation, denn Instrumente und Raum waren jeweils unterschiedlich.

Welche Komponisten fallen einem zuerst ein, wenn von »Etüden« die Rede ist? Chopin vermutlich, und Carl Czerny, wobei letzterer (zu Unrecht) wegen seiner Übungsstücke in Verruf geraten ist. Erstens hat Czerny weit mehr geleistet als pädagogische Exerzierstücke zu fabrizieren, zweitens erweisen sich viele Etüden bei näherer Betrachtung als raffinierte Phantasie- oder Charakterstücke.

Also Chopin und Czerny – genau die gehörten am Montag aber gar nicht zum Programm! Mit Franz Liszt gab es immerhin einen, den man auf der »Etüdenliste« haben sollte, andere Namen überraschten jedoch: Camille Saint-Saëns (der mit der Orgelsinfonie und den Klaviertrios?) oder Olivier Messiaen (war der nicht Ornithologe?) zum Beispiel. Und wer kennt Tatjana Nikolajeva oder Arsentiy Kharitonov?

Es lohnte in jedem Fall, schon des Hinhörens wegen. Und wer sich pianistisch betätigen mag, kann im Abschluß gern ergründen, ob er sein Arbeitsfeld mit rhythmisch geprägten Übungen (Erwin Schulhoff: »Blues«, gespielt von Erik Breer genannt Notteboom, oder Nikolai Kapustins Etüde Opus 68 Nr. 1) bereichern, sich stärker mit Intervallen befassen (vier Etüden Alexander Skrjabin, gespielt von Shangyi Han, Jiaao Yu und Zeling Shen) oder sich in rhapsodisch verschlungenen, teils ausschweifenden Stücken verlieren will. In diesem Fall landen wir – genau – bei Liszt!

Sechzehn Studentinnen und Studenten stellten sechzehn Stücke vor, nur einer war mit gutem Grund verhindert und befand sich  bereits auf dem Weg zu einem Klavierwettbewerb in Kanada. Das sehr vielfältige Programm war nicht nur abwechslungsreich, sondern auch strukturiert und schien am Ende da anzukommen, wo es angefangen hatte: Nachdem Clara Schina den Abend mit Franz Liszts der »Ricordanza« aus den Étude d’exécution transcendante beginnen durfte, schloß ihn Yuta Tenkatsu gut eineinhalb Stunden später mit Alexander Ljapunoffs Nr. 12 aus den Études d’exécution transcendante Opus 11 ab, die sich deutlich auf Liszt beziehen.

Die Klavierklasse von Prof. Hinrich Alpers, Photo: NMB

Dazwischen gab es wehmütige oder melancholische Ausschweifungen (Etüden von Felix Blumenfeld / Taeeun Kim, Karol Szymanowski / Krystsina Vavilonskaya), Inhee Kim und Huiming Zhang spielten teil irrwitzig rasante Stücke von Igor Strawinsky und Nikolai Kapustin und Hyewon Kim sorgte mit einem zirzensischen Spaß von Camille Saint-Saëns (Etüde F-Dur) für Aufhorchen – seine Etüden hat man ja nicht unbedingt im CD-Regal, aber die Klavierkonzerte (in diesem Fall Nr. 2 zum Nachhören). Daria Kleshchenko wiederum legte in Olivier Messiaens »Île de Feu I« (Insel des Feuers) die ungeheuren Kontraste offen, die in den Farbenspielen des Komponisten stecken.

Noch einmal rasant ging es auf die Zielgerade: In Arsentiy Kharitonovs Étude No. 1, gespielt von Jacob Nydegger, schienen sich Chopin und Saint-Saëns die Hand zu geben.

7. Mai 2024, Wolfram Quellmalz

Das nächste Hochschulpodium gibt es gleich heute (Klavier, 19:30 Uhr, Konzertsaal), am Montag folgt Violine plus (Kleiner Saal)

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