Kleinberlin und Großparis?

Kammerkonzert in der Reihe des Collegium 1704

»Von Paris nach Berlin« hieß es am Donnerstag im Prager Kulturzentrum Vzlet in der Reihe des Collegium 1704. Statt eines ganzen Orchesters genügten diesmal allein vier Musiker. Ensembleleiter Václav Luks hatte, da er beim Kammerkonzert in Solo-, Sonaten- und Quartettbesetzung zumindest funktionell keiner Aufgabe nachkommen mußte, eine andere übernommen und präsentierte zeitgleich mit dem Deutschen Sinfonie-Orchester Berlin ebendort die Ouvertüre Nr. 1 von Louis Farrenc, die Sinfonie D-Dur von Jan Václav Voříšek (Besucher der Musikbrücke Prag – Dresden haben das Werk im vergangenen Oktober gehört, unser Bericht: https://neuemusikalischeblaetter.com/2023/10/22/wiederhoren-macht-freude/) sowie Ludwig van Beethovens Violinkonzert mit Solistin Alina Ibragimova.

Der programmatische Bezug zu Paris und Berlin ergab sich aus den Werken, zu denen zwei der Pariser Quartette Georg Philipp Telemanns sowie drei Kompositionen Johann Sebastian Bachs zählten. Zwei stammten aus dem »Musikalischen Opfer« (BWV 1079), das Bach für den Preußischen König anfertigte. Ob der es (wegen der darin enthaltenen Herausforderung) ehrfurchtsvoll beiseite gelegt oder geringschätzig liegengelassen hat, ist nicht gesichert – über das an Friedrich II. gesandte Werk (Bach hatte anläßlich seines Besuches in Potsdam über ein Thema improvisiert und die umfangreichen und thematisch erweiterten Noten erst nach seiner Rückkehr niedergeschrieben) gibt es allerdings zahlreiche, nicht immer auf Wahrheit beruhende Anekdoten.

Ein Stück Paris mitten in Prag: Jan Ostrý (Flöte), Helena Zemanová (Violine), Pablo Kornfeld (verdeckt am Cembalo) und Petr Mašlaň (Violoncello) spielten unter anderem Telemanns Pariser Quartette im Vzlet, Photo: Collegium 1704, Petr Dyrc

Im Konzert gab es, musikalisch wie anekdotisch, Anknüpfungspunkte über Paris und Berlin hinaus. Etwa derart, daß Johann Sebastians Sohn Carl Philipp Emanuel, in der Zeit des Ricercar in Diensten Friedrich des Großen stehend und damals allgemein wie in der Musikwelt höher geschätzt als der Vater, ein wenig mitzuklingen schien. Denn in der Sonata sopr’il soggetto reale aus BWV 1079, vor allem im Largo, offenbarte sich unter anderem eine Eleganz, die dem galanten Stil von »CPE« nahekam.

Jan Ostrý (Flöte), Helena Zemanová (Violine), die Konzertmeisterin des Collegium 1704, Petr Mašlaň (Violoncello) und Pablo Kornfeld (Cembalo) hatten zu einem ausgewogenen Quartett gefunden, das sich flexibel auf die jeweilige Situation einstellte. Dabei ging es gar nicht so streng »historisch« zu, wie mancher vielleicht erwartet (oder erhofft) hatte, denn Gast Jan Ostrý spielte eine moderne Querflöte. Also Metall statt des Holzes einer Traversflöte, wie sie zu Zeiten Telemanns und Bachs gespielt worden ist. Jedoch zeigte sich: »historisch informiert« läßt sich auch auf der modernen Böhm-Flöte darstellen. (Viele Flötisten beschäftigen sich intensiv mit der Traversflöte, kehren aber zu »ihrem« modernen Instrument zurück. Der temporäre Exkurs eröffnet dabei neue Klangmöglichkeiten.) Nicht zuletzt verwiesen die beschaulichen, in den Stimmen ungemein gut gewichteten Quartette zumindest auch so noch auf Sohn Carl Philipp Emanuel Bach, da Georg Philipp Telemann dessen Pate war.

Eng vernetzt: Pablo Kornfeld (Cembalo) und Petr Mašlaň (Violoncello), Photo: Collegium 1704, Petr Dyrc

Vater Bachs Musikalisches Opfer war neben der Sonata sopr’il soggetto reale mit dem Ricercar à 6 im Programm vertreten, das Pablo Kornfeld ungemein durchsichtig darbot. Bei sauber herausgearbeiteten dynamischen Verläufen bewahrte er das Werk vor übermäßigen Tempi, so daß sich die verschlungenen Pfade der Fugen wunderbar nachvollziehen ließen.

Die Sonata sopr’il soggetto reale offenbarte bei aller »Nähe« zur Empfindsamkeit ganz ursprüngliche Qualitäten Johann Sebastian Bachs. Gleich der Beginn ließ an große Werke wie die Passionen denken! Die Formvollendetheit des Allegro war ein lebendiger Beweis vitaler Ordnung, das beschaulich schreitende Andante wiederum barg dynamische Raffinessen und schien – ohne den Charakter zu ändern – flotter zu werden.

Blumenkinder: die Musiker, teilweise Lehrer bzw. Professoren, hatten zahlreiche Schülerinnen und Schüler ins Konzert gelockt, einige von ihnen übernahmen die Blumenübergabe, Photo: Collegium 1704, Petr Dyrc

Nachdem Georg Philipp Telemann den Abend mit dem ersten »Concerto« aus den Pariser Quartetten (TWV 43) beginnen durfte, beschloß das sechste Quartett aus der gleichen Sammlung das Konzert. Mit kleinen kadenzartigen Passagen von Flöte und Violine erhielt es teilweise sogar einen improvisatorischen Charakter.

18. Mai 2024, Wolfram Quellmalz

Das nächste Konzert der Reihe im Vzlet findet am 19. Juni statt, bevor es im September »nach Venedig« geht.

Collegium 1704 & Collegium Vocale 1704

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