Serenade im Grünen sorgte für Wetterumschwung (?)
Der Dresdner Kreuzchor ist – passend zum nahenden Schuljahresende und den Dresdner Musikfestspielen – nicht nur in Hochform, sondern auch in bester Stimmung. Am Sonnabend feierte er in einer großen Kreuzvesper außer dem Pfingstfest den mittlerweile 32. Träger des Rudolf-Mauersberger-Stipendiums. Daß es in diesem Jahr an Anton Matthes verliehen wurde, dürfte kaum jemanden überrascht haben, denn Anton Matthes ist spätestens, seit er sich in der Zeit seines Stimmbruches verstärkt mit dem Komponieren und dem Orgelspiel auseinandergesetzt hat, vielen Vesperbesuchern vertraut. So fügte sich auch seine Motette für zwei vierstimmige Chöre »Beati mortiui« (Selig sind die Toten, erneut eine Uraufführung) in das Programm, als sei es vom jungen Brahms geschenkt.
Nach der Vesper gab es das traditionelle Kurrendesingen am Trauportal und dort schon die eine oder andere Begegnung mit einem Stück, das am Sonntag im Rahmen der Serenade im Grünen im Pillnitzer Schloßpark erklang. Diese gehörte wie immer zu den Dresdner Musikfestspielen, doch zunächst sah es für das Freiluftkonzert gar nicht gut aus, sondern düster. Der Himmel zog sich wieder zu, Blitze zuckten, Donner grollte. Trotzdem begann der Kreuzchor frohen Mutes und mit frohen Herzen sein Programm. Zwar hatten die Jungs witterungsbedingt auf die traditionelle Chorkleidung verzichtet, ließen sich aber nicht einschüchtern – »wir sind zäh«, sagte Kreuzkantor Martin Lehmann.

Oder sah er eine Verbindung zwischen dem Wetter und dem Jahresmotto »Wasser«? Wenn ja, haben die Kruzianer dies selbst korrigiert: spätestens mit dem betonten »Abendsonnenschein« in Friedrich Silchers »Loreley«, von den Männerstimmen vorgetragen, war die Wetterwende geschafft. Am Ende wärmte die Sonne bereits wieder den Park, in dem es zu Beginn noch ausgesehen hatte, als wolle das Publikum eine Fuge für Regenschirme aufführen.
Die zahlreichen Besucher hätten sich ohnehin nicht abschrecken lassen. Sie wollten weder auf die »Waldpsalmen« von Max Bruch oder Giovanni Giacomo Gastoldi noch auf Rudolf Mauersbergers »Geh aus, mein Herz« verzichten. Titel wie Johannes Brahms »Waldesnacht« gehören einfach in eines der weltlichen Chorkonzerte, die immer wieder Volkslieder und deren kunstvolle Verarbeitungen aufgreifen.
Daß eine Tradition nicht allein in einer Rückbesinnung liegt, sondern in der immer wieder inbegriffenen Auseinandersetzung und der Weitergabe an jetzige und künftige Generationen, dafür stand nicht nur Verleihung des Rudolf-Mauersberger-Stipendiums am Vortag, sondern auch die Gruppen der Abiturienten sowie der Nachwuchsklasse. Während die letztere für einzelne Titel bereits in den großen Kreuzchor aufgenommen wurde, durften die ersteren eigene Stücke allein präsentieren. Sonus Aeternus, ein 2022 aus dem Kreuzchor gegründetes Männerchorensemble, war somit erneut von der Partie, fügte dem Programm den »Millionär« der »Prinzen« hinzu sowie Billy Joels »For a longest time«.
Mit dem mehrfach im Programm enthaltenen Felix Mendelssohn (aus Sechs Lieder für vierstimmigen Männerchor Opus 50) gehört ein weiteres Mal Johannes Brahms unverzichtbar ins Konzert – »Vineta« sorgte für märchenhaften Zauber.

Zur aufgeschlossenen Art des Kreuzchores und seins Kantors gehört es aber auch, Gelegenheiten für direkte Berührungspunkte zu schaffen – sowohl in der Volksweise »Als wir jüngst in Regensburg waren« wie später in der »Vogelhochzeit« durfte das Publikum mitsingen. Wobei sich Martin Lehmann nicht nur in der Werkauswahl von seiner humoristischen Seite zeigte: wohnte doch schon der Regensburger Fahrt ein überschäumender Frohsinn inne, der sich in der »Vogelhochzeit« noch steigerte, in der sich nicht nur eine Fledermaus sozusagen irregulär verflogen hatte, sondern die imitatorisch höchst vergnügt von den Kruzianern (beschwipste Kolibris) ausgestaltet wurde. Da wurden auch die Tempi extrem variabel. Manchmal gehörte das ganz ohne jeden Spaß dazu, als Gestaltungsmittel etwa in Georg Gershwins »Summertime«.
Dem Kreuzchor, vor allem den Abiturienten, für die es der Abschied ist, steht nun ein umfangreiches Programm bevor. Am kommenden Sonnabend sind sie als Gast der Dresdner Philharmonie noch einmal im Rahmen der Dresdner Musikfestspiele zu erleben, bevor Anfang Juni die letzte Vesper und der letzte Gottesdienst auf dem Plan stehen. Von dort geht es fast direkt auf gleich zwei Gastspielreisen durch Deutschland und China.
20. Mai 2024, Wolfram Quellmalz