Raphaela Gromes und Julian Riem präsentierten ihr CD-Programm im Palais im Großen Garten
Zwei weitere Künstler stellten im Rahmen der Dresdner Musikfestspiele ihr CD-Programm vor. Diesmal stellte sich nicht nur die Frage, ob sich die Spannung der Aufnahme ins Konzert übertragen läßt, sondern auch, ob der erarbeitete Zugang nicht die Sicht ein wenig verstellt. Denn Pianist Julian Riem freute und wunderte sich am Sonntagmorgen im Palais im Großen Garten, daß so viele Zuhörer zum immerhin zweiten Konzert gekommen waren (am Vorabend in Meißen) – hatte er so wenig Vertrauen in das eigene Programm mit Musik ausschließlich von Frauen (»Femmes«)? Anlaß dazu bestand nicht, denn einerseits darf man immerhin zwei Drittel der Komponistinnen als berühmt einstufen, manche boten Stoff zur Legendenbildung. Andererseits hat das Programm bisher reichlich Aufmerksamkeit erfahren, der Publikumszuspruch dürfte also vorhersehbar gewesen sein (daher auch zwei Konzerte statt nur eines).

Und warum sollte man Werke nur deshalb hören, weil sie von Frauen stammen? Auch Komponistinnen haben weniger belangloses oder heute vergessenes geschrieben – wie manche Kollegen. Adolf Henselt, Joseph Woelfl oder Albert Becker sind heute nur noch Kennern geläufig. Insofern führte die Betonung der Komponistinnen nicht wenig vom Pfade ab, spätestens, wenn das Programmheft die zeitgenössische Kritik, die Elisabeth Kuypers Ballade g-Moll als »zahm« und »liebenswürdig« aufnahm, beanstandete – dem Kritiker von heute fehlte der Ballade deutlich die Spannung, erst recht, wenn man sie mit dem nachfolgenden Stück aus Nadja Boulangers Trois Pièces verglich, war es doch der Anlage nach viel geringer als eine Ballade.
Nimmt man Komponistinnen jedoch nicht vordergründig als besonderes wahr (als unterstellte man, Frauen könnten dies nicht), überwogen auf der Habenseite viele positive Eindrücke. Gleich zu Beginn gab es eine Wiederbegegnung mit Lera Auerbach, die in den letzten Jahren bereits Kompositionsresidenzen bei beiden Dresdner Orchestern hatte. Anders als in den großen, komplexen Werken, die meist intertextuelle Bezüge aufweisen, sich auf Bildende Künste beziehen und ähnliches, durfte man in den sechs Stücken aus »24 Präludien für Violoncello und Klavier« ungemein freie, teils bezaubernde Miniaturen entdecken, die teils wie Fragmente anmuteten. Cellistin Raphaela Gromes gaben sie Gelegenheit, die Gesanglichkeit ihres Instruments auszuloten. Wild und agitativ (Allegro ossesivo), wie eine romantische Hinwendung an Brahms oder Mendelssohn (Giocoso) spiegelten sie nicht nur eine emotionale Bandbreite, sondern boten eine Annäherung an Tango (im Andantino!) oder sephardischen Gesang (Andante).
Raphaela Gromes und Julian Riem hatten schon hier gezeigt, wie die Rollenverteilung wechseln kann, die Begleitung mal beim einen, mal beim anderen Instrument liegt oder beide sich im Duett vereinen (Adagio). Diese interpretatorische Finesse verwies damit der Frage, wie »zeitgemäß« ein Werk wie Henriëtte Bosmans‘ Sonate für Violoncello und Klavier einst gewesen ist, ins nebensächliche. Den Spätromantikern folgend, zeigte sich darin nicht nur einfache Schönheit, sondern leichte Beschwingtheit und Lebensfreude, während das Adagio bei Raphaela Gromes und Julian Riem geradezu andächtig strahlte.
Insofern darf die oben aufgeworfene Frage nach der Spannung positiv beantwortet werden – beiden Künstlern gelang es, nicht zuletzt, weil sie aus dem Vorrat der 24 Stücke auf der CD schöpften, nicht nur eine ansprechende Programmfolge zusammenzustellen, sondern ihr auch Leben einzuhauchen. So gewannen die oft gespielten Drei Romanzen Opus 22 von Clara Schumann noch einmal hinzu. Weniger, weil sie hier auf dem Violoncello gespielt wurden und nicht auf der Violine, sondern weil ihr drei der Six Morceaux von Pauline Viardot-García folgten. Die beiden sehr unterschiedlichen Frauen standen sich nahe, lebten die Musik aber auch sehr individuell aus. Oder entsprach es schlicht ihrem Naturell? Während Clara eindeutig in der »Schumann-Welt« wiederzufinden war, zeigten sich die Morceaux‘ Pauline Viardot-Garcías wilder, freizügiger und noch raffinierter. Mit Trois Pièces von Nadja Boulanger wandte sich das Programm einer der wichtigsten Kompositionslehrerinnen zu, die ihr eigenes Schaffen leider allzufrüh eingestellt hat! Es lohnt, ihre Stücke weiter zu erfahren oder an deren Ursprung (in diesem Fall in der Orgelfassung) vorzudringen.
4. JUni 2024, Wolfram Quellmalz
