Olivier Messiaens »Turangalîla-Symphonie« mit der Sächsischen Staatskapelle
Einerseits war Olivier Messiaen mit seiner »Turangalîla-Symphonie« in Besetzung und Melodik noch ein Stück weiter gegangen als Gustav Mahler, dennoch – trotz der enormen Dauer von achtzig Minuten – schien das Werk keineswegs maßlos. Zumindest nicht in der Anlage, in der Rezeption wurde ihm schon bald eine maßlose Freude unterstellt.
Immerhin keinen Chor und keinen gesungenen Text schreibt Messiaen vor, dafür aber zahlreiche Soli, vor allem von Klavier und Ondes Martenot. Das elektronische Instrument wob er aber meist in einen sinfonischen Klang ein, läßt es nur an ausgewählten Stellen wirklich hervortreten, dann aber durchaus gesanglich und sogar an eine Okarina erinnernd – was zum Ornithologen Messiaen im Grunde paßt. Trotzdem greift der Vergleich (viel) zu kurz.

Myung-Whun Chung, der das Konzert eigentlich dirigieren und im Rahmen seiner Position als Erster Gastdirigent der Sächsischen Staatskapelle seinen Messiaen-Zyklus fortsetzen wollte, hatte krankheitsbedingt kurzfristig absagen müssen. Mit Nicholas Collon war ein junger Messiaen-Kenner als Ersatz gefunden worden, den offenbar auch Pianist Pierre-Laurent Aimard, seinerseits der noch größere Kenner, schätzt.
Ihm gelang am Sonntagmorgen in der Semperoper eine jederzeit durchsichtige, in vielen Passagen raffinierte und sinnliche Interpretation. Zwar bezog sich Olivier Messiaen auf eine Tristan-Thematik, die er ins Zentrum gerückt sah, jedoch folgten daraus weder typische Akkorde oder mit Wagner vergleichbare Verarbeitungen. Ebenso bestehen zu Debussys »Pelléas et Mélisande« mehr innerliche, initiale denn offensichtliche Bezüge. Dafür hat der Komponist indische und religiöse Themen verarbeitet und in eine klangsinnliche Ästhetik überführt, in der übliche Orchester Stimmen aufgebrochen und neu verbunden werden. Die beiden Solisten treten daher wenig hervor, immerhin sind dem Klavier mit Kadenzen gezielte Handlungsmomente zugewiesen. Sonst aber profitiert das Werk von seinem inneren, emotionalen Gefüge.

Und das zeigte sich am Sonntag nicht allein in Klangschichtungen wie bei Bruckner oder Mahler, sondern in immerzu neu oder wieder auffächernden Korrespondenzen zwischen nahezu allen Instrumenten, beginnend mit den gedehnten, aufwärtsstrebenden Glissandi der Streicher. Das Klavier stand anderen Tasteninstrumenten (Celesta, Glockenspiel) und dem Vibraphon nicht nur gegenüber, sondern befand sich in einem regen Austausch, der in den Schlagwerken mehr als einen Nachhall fand, neue Anregung erhielt. Bläser waren solistisch eingeschlossen, als Gruppe aber (vor allem ein schier übermächtiger Blechbläserchor) konnten sie einen Steigerungspunkt fast überbordend markieren. Zauberisch gelang der Jardin du sommeil d’amour (Garten des Liebesschlummers).
Nicholas Collon hatte somit jede Menge zu ordnen und zu richten, behielt dabei aber, und das war vielleicht das verblüffendste, den Überblick. Denn der erzählerische wie der emotionale Faden riß über den Verlauf der zehn (!) Sätze nie. Dafür verführte Collon das ganze Orchester zu einer Tuttikantabilität (Liebesgesänge), wie sie sonst solistisch nur auf der Violine oder mit einem Holzbläser realisiert wird.

Cynthia Millar am Ondes Martenot mischte sich oft fast unauffällig in den Klang. Erstaunlich zu beobachten war dies nicht zuletzt, weil beim Ondes Martenot das Bedienen und die daraus folgende Klangwirkung eben anders, weniger nachvollziehbar ist als bei jedem anderen Instrument. So trug Cynthia Millar oft zur Chromatik des Orchesterkorpus bei, unterlegte den Klang mit einem durch Trillern erzeugten Tremolo. In Passagen mit Vogelstimmen (oder ihnen nahekommend), Seufzern und Rufen, aber auch von großer Gesanglichkeit gab es dennoch immer wieder solistische Einschübe, wobei hier ein weiteres Mal die Korrespondenzen weitergeführt wurden – Glocken oder Oboe nahmen den Klang des Ondes Martenot auf und vermischten sich damit.
Letztlich war meist dieser Mischklang wesentlich, eine Synthese, pure Sinfonik eben, trotz der Solisten, die in fernöstliche und darüber hinausgehende melodische Gebiete abschweiften.
9. Juni 2024, Wolfram Quellmalz