Silbermann gegen AC/DC

Daniel Beckmann sorgt im Orgelkonzert für positive Sichtweisen

Manchmal steht der Wind auch dann ungünstig, wenn es gar nicht darum geht, vorwärtszukommen. Am Mittwoch vergangener Woche zum Orgelkonzert in der Hofkirche (Kathedrale) zumindest wehte er die Klänge von AC:DC aus der Flutrinne herüber. Nichts gegen AC/DC, aber hätten die in der Zeit nicht Fußball schauen können?

Die Schar der Orgelfreunde war aus dem einen oder anderen Grund diesmal etwas kleiner, ohne den Beweis antreten zu können, vermutet der Rezensent aber, daß die Silbermannorgel mehr Zuhörer an die Nationalelf verloren hatte. Der musikalische Gewinn war jedoch – trotzt Außenbeschallung – fast ungemindert.

Daniel Beckmann, Domorganist am Hohen Dom St. Martin zu Mainz, hatte ein Programm zusammengestellt, dessen fast symmetrischer Aufbau nach Bachs Geschmack gewesen sein könnte. Zwischen zwei Fugen incl. Vorspiel von Bach (außen) sowie zwei Sonaten Felix Mendelssons (innen) erwartete die Zuhörer mit einem Tango (!) von Guy Bovet noch eine große Überaschung, aber davon später mehr.

Am Beginn stand Johann Sebastian Bachs Praeludium D-Dur (aus BWV 532). Vor die zugehörige Fuge hatte Daniel Beckmann allerdings das Andante h-Moll (zweiter Satz aus der Triosonate BWV 528) gesetzt. Entstanden ist dabei aber keine neue Sonate, sondern eine kontemplative Pause zwischen den beiden Hauptteilen. Das liedhafte Andante schuf einen Punkt der Beruhigung, dem das Glück wiederfuhr, daß offenbar auch AC/DC ein Andante oder eine Ballade sangen – draußen herrschte ein Moment der Ruhe. Wer solchen Feinheiten nachspüren will, der möge auf YouTube nachhören, wie BWV 528 auf einem Clavichord klingt, das Balint Karosi spielt.

Der um dieses Andante gelegte Rahmen spielte im Klang mit mildem Sonnenglanz, aus dem Freude stieg. Phantasie und Fuge g-Moll (BWV 542) setzten dem am Ende den Charakter einer Verkündung oder Frage (Phantasie) entgegen, die in eine der fröhlichsten Fugen mündete. Daniel Beckmann ließ nicht allein den Aufbau derselben, Schicht um Schicht wachsend, deutlich werden, sondern nutzte Silbermanns kräftige, wiewohl klare Stimmregister für einen charakteristisch gefärbten Ausdruck.

Und auch bei Felix Mendelssohn geriet ihm die deutlich hervorgehobenere Stimmung nicht ins Schwimmen, also in eine undurchsichtige oder undurchhörbare Klangvermischung. Dabei gelang ihm eine geschmackvolle »Rückkopplung«: Mendelssohn hatte sich in seiner Orgelsonaten nicht nur an Johann Sebastian Bach orientiert, sondern sich zuvor mit dessen Kleinen Choralvorspielen im Sinne von eigenen Orgelstudien befaßt. In seine Orgelsonaten wob er danach Choräle ein, die – jetzt natürlich romantisch – einen Subtext transportieren können, wie es Bach (und viele andere) bereits praktiziert hatten. Daniel Beckmann ließ »Was mein Gott will, das g’scheh allzeit« im ersten Satz der ersten Sonate verströmen, ohne den Choral wie eine Solostimme herauszuheben. Somit blieben die Stimmen noch zwischen Manual und Pedal im Gleichgewicht, mit kleinen Verschiebungen wurden nicht nur Betonungen geschaffen, vielmehr blieb das Plenum stets geradezu sinfonisch verbunden. Vom Andante, Rezitativo mit filigraner Einleitung führte ein direkter Weg ins vollgriffige Allegro vivace assai.

Daß romantische musikalische Stimmungsbilder und pianistische sowie strukturelle Elemente miteinander einhergehen können, zeigte auch Mendelssohns dritte Orgelsonate (Choralthema: »Aus tiefer Not schrei ich zu Dir«). Der innige Goldschimmer des Chorals (Stimmung) wuchs bald zum Ausdruck zu inniger musikalischer Freude, wobei Bachs Fugen wieder Paten schienen. Leider blieb die Sonate auf die ersten Sätze reduziert, allerdings war Bachs BWV 542 eine gelungene Fortsetzung, nicht nur wegen der vielen Bezüge zwischen Mendelssohn und dem Thomaskantor.

CD-Tip: Daniel Beckmann »Mainzer Dom – Festkonzert zur Weihe der neuen Domorgeln«, unter anderem mit Johann Sebastian Bachs Präludium & Fuge BWV 532, dem Andante aus der Triosonate BWV 528 sowie Guy Bovets Doce Tangos ecclesiasticos aus dem Konzertprogramm, erschienen bei Aeolus

Die Überraschung in der Mitte war ein Tango für Orgel oder genauer der »Tango im fünften Ton, für die linke Hand« (Tango de quinto tono, de mano izquierda) aus den »Tangos ecclesiasticos« des Schweizer Organisten und Komponisten Guy Bovet. Nach einer kurze Einleitung (oder Präludium) setzte sich zwar bald ein Tango-Metrum durch, jedoch schien dies weder eine Tangoadaption noch wäre es tanzbar gewesen (Aber wer kann schon Tango tanzen?). Die (scheinbare) Genreloslösung machte die Musik dafür frei, führte zum Stil einer Tango-Phantasie, die sich aber am Schluß mit einem Akkord der Imitation noch einmal vor dem Ursprungsthema zu verneigen schien.

20. Juni 2024, Wolfram Quellmalz

In den folgenden Wochen finden im Rahmen des Dresdner Orgelzyklus‘ die Internationalen Dresdner Orgelwochen statt.

https://www.kreuzkirche-dresden.de/de/veranstaltungen

Spendenaufruf für die Kirche Großröhrsdorf und aktuelle Informationen: https://www.kirche-grossroehrsdorf.de/

Hinterlasse einen Kommentar