Puccinis Klassiker als Retro-Krimi der Neunziger Jahre
Wenn man eine der beliebtesten Opern neu auf die Bühne bringt, muß man sich etwas einfallen lassen – oder auch nicht. Schließlich liegt es am Stoff und an der Musik, wenn »Tosca« nach wie vor heiß begehrt wird. Regisseur Armin Petras, der vor allem am Schauspiel tätig ist, aber auch schon »Lady Macbeth von Mzensk« und »Die tote Stadt« in Bremen inszeniert hat, gehört seit Sommer 2022 zur Schauspieldirektion am Theater Cottbus. Im Fall von »Tosca« entschied er sich für einen Mittelweg.
DIE INSZENIERUNG
Statt in Rom am 17. und 18. Juni 1800 (die Nachrichten über den Verlauf der Schlacht bei Marengo sind in den Text von »Tosca« eingeflossen) spielt die Handlung bei ihm irgendwo in einem osteuropäischen, postsozialistischen Milieu der 1990er Jahre. Das ist insofern passend, da sich die Machtstrukturen, die Instinkte, Ränke und das Streben nach Reichtum oder Freiheit durchaus übertragen lassen. Jan Pappelbaum (Bühne) und Cinzia Fossati (Kostüme) haben mit allerlei Neunziger-Jahre-Objekten und Mode eine Umgebung geschaffen, deren golden geflieste Wände und Säulen der Kirchen und Palazzi an Gustav Klimt, an vergangenen Glanz erinnern. Er ist etwas »von gestern«, noch blättert er nicht oder sieht (zu) verbraucht aus, aber die besten Zeiten liegen schon zurück.

Außerdem hat Armin Petras eine zusätzliche Figur erfunden, eine Assistentin, deren Bestimmung (oder Ursache) jedoch nicht zwingend einleuchtend ist. Im ersten Akt, wenn sie Cavaradossi die Pinsel wäscht, ist sie während des Streits zwischen Tosca und dem Maler dabei – müßte die eifersüchtigen Sängerin die anwesende Person nicht mit einbeziehen (oder hinausschicken), da sie doch mindestens Mitwisserin ist? Später wechselt die Assistentin die Seiten (oder wandelt sich symbiotisch), ordnet Scarpias Blumen – nun denn …
DAS STÜCK
Es sind unruhige Zeiten – ob man es nun als Aufbruch in die Neue Welt (oder Unordnung) der 1990er Jahre sieht oder im Machtgefüge Roms um 1800. Der Maler Cavaradossi ist damit beschäftigt, das Altarbild einer Kirche zu malen. Für Maria Magdalena fand er ein allzu lebendiges Vorbild – weshalb Tosca verständlicherweise rast. Sie erkennt die Ähnlichkeit der Malerei mit einer betenden Besucherin und verlangt »male ihr doch schwarze Augen« (statt blaue) – bei Armin Petras nimmt Tosca selbst den Pinsel und greift, zum Entsetzen des Malers, ein.

Doch Cavaradossi hat ganz andere Probleme: als der politische Gefangene und Voltairianer Angelotti entkommt, gewährt ihm Cavaradossi Unterschlupf in seinem Haus. Doch durch Unvorsicht und das zwielichtige Spiel des Polizeichefs Scarpia wird Angelotti schließlich entdeckt. Und da Scarpia auch die schöne Tosca »besitzen« will, benutzt er Cavaradossi, der wegen seiner Mithilfe verhaftet und zum Tode verurteilt wurde, als Druckmittel.
Am Ende verlieren alle: Scarpia unterschreibt zwar einen Passierschein für Tosca und Cavaradossi, um die schöne Sängerin gefügig zu machen, doch die versprochene Scheinhinrichtung wird eine echte, der Maler erschossen. Tosca, die sich nicht beschmutzen lassen möchte, ersticht Scarpia, bevor er an ihr »zur Tat« schreiten kann, verliert aber ihren Geliebten. Über das Ende stritten bereits der Komponist Giacomo Puccini mit seinen Librettisten Giuseppe Giacosa und Luigi Illica sowie Victorien Sardou, von dem das ursprüngliche Drama »La Tosca« stammte. Stirbt Tosca nun, wird sie wahnsinnig oder …? Armin Petras versuchte eine eigene Antwort zu finden.
DIE AUFFÜHRUNG
Puccinis »Tosca« lebt von der Stimmung. Trotz weniger Arien, die Belcanto-Qualität verlangen, ist dies kein Belcanto, und auch eine rein veristische Sichtweise beschriebe Stil und Charakter wohl unzureichend. In Cottbus bekommt man jedoch alles geboten (wir besuchten die Vorstellung am 27. Juni): die sängerische Leichtigkeit des Belcanto, die emotionale Aufgewühltheit des Verismo und die besondere Zuspitzung des Dramas, das durch quasi-historische Fakten (nur zum Teil entsprechen die Randbedingungen und Begebenheiten der Geschichte) noch authentischer wirkt. Unter der Leitung von GMD Alexander Merzyn bewies das Philharmonische Orchester des Staatstheaters Cottbus eine beeindruckende Wandlungsfähigkeit – über die Emotionen hinaus blieb eine instrumental klare Linie erhalten. Stimmungsvoll und atmosphärisch aufgeladen wurde eine ganze Geräuschkulisse (Pfiffe von draußen, Schüsse bzw. Kanonendonner, aber auch ein Te Deum und eine Kantate dringen »herein«) verdichtet. (Daß sich zur Pause draußen ein Gewitter entlädt, paßt – der Donner von Scarpias Schergen?)
Der kräftige Klang geriet zu keinem Zeitpunkt wuchtig. Vor allem: von den Solisten bis zum Kinderchor wurden die Sänger unterstützt. Alexey Sayapin (Mario Cavaradossi) hatte sich vorab als leicht angeschlagen melden lassen, was aber kaum zu spüren war. Vielleicht hat er deshalb etwas mehr und mit starkem Vibrato forciert, traf die heikle Lage im dritten Akt, wenn Cavaradossi einen letzten Liebesbrief schreibt (»E lucevan le stelle« / »Und es leuchten die Sterne«) und sich der Tenor aufschwingen muß, nicht so mühelos. Dafür unterstrich das Orchester die Szenerie um so mehr, Solocellist und Cellogruppe gaben dieser stillen Nacht des Bedenkens einen Klang der inneren Stimme.

Armin Petras’ Inszenierung kann darstellerisch überzeugen, bleibt als Stück geschlossen, weshalb einzelne Arien gar nicht für sich wahrgenommen und beurteilt werden müssen. Daß zwischendurch Pistolen gezückt werden, Cavaradossi mit einer Spritze zum Reden (über Angelottis Versteck) gebracht wird, passiert wie nebenbei, hat letztlich aber kaum Handlungsbedeutung und behält einen eher aufgesetzten Charakter.
Zwar müssen die Arien nicht einzeln wahrgenommen werden, können es aber doch. Vor allem, wenn sie so famos gelingen wie mit Elena O’Connors Tosca und Andreas Jäpels Baron Scarpia. Bei ihnen wurden aber nicht nur aus den Glanznummern Höhepunkte, schon als die zornbebende Tosca, ein vibrierendes »Mario, Mario …« auf den Lippen, in die Kirche stürmte, war – Pardon! – Feuer unter dem Dach! Elena O’Connor (als Gast) entfachte eine schier unglaubliche Leidenschaft, die deutlich macht, warum das Stück nach der weiblichen Hauptperson benannt wurde. Ihre Tosca war ambivalent, und gerade deshalb glaubwürdig: unbeherrscht, aufbrausend, dann wieder rational agierend (wenn sie Scarpia erpreßt und die Flucht plant), einfühlsam. »Vissi d’arte« (»Ich lebte für die Kunst, lebte für die Liebe«) vermochte zu Tränen zu rühren!
Doch das Haus kann Hauptrollen auch aus dem eigenen Ensemble besetzen: Andreas Jäpel war als Baron Scarpia kaum weniger glaubwürdig: so fies und hinterhältig, rational und »zielorientiert« (»Ha più forte sapore«, wörtlich: »Es hat einen stärkeren Geschmack«, er meint: »Erzwungene Liebe schmeckt besser!«). Jäpel überzeugte nicht nur mit dominierendem, selbstsicherem Timbre, Scarpias Gesten waren bis ins kleinste abgestimmt und eine Verkörperung – ein Machtmensch, Präsident oder Mafioso?
Mit Alexander Trauth (Cesare Angelotti), Ulrich Schneider (Mesner) und Jens Klaus Wilde (Spoletta) vervollkommnete sich eine Personnage, die ihrerseits Ambivalenz in sich barg. Wohl kaum einer wandelte so spontan zwischen Machtausübung und Unterwürfigkeit wie Ulrich Schneiders Mesner!
Diese »Tosca« könnte einige Zeit Bestand haben. Bereits im September ist sie wieder zu erleben.
29. Juni 2024, Wolfram Quellmalz
https://www.staatstheater-cottbus.de
Erfreulich: Im vergangenen Jahr besuchten wir Richard Wagners »Tristan und Isolde« in Cottbus. Im April und Mai kehrt Stephan Märkis großartige Inszenierung mit Catherine Foster (Isolde) und Bryan Register (Tristan) ins Repertoire zurück.