Bach als Denkzentrum

Ute Gremmel-Geuchen an den Silbermann-Orgeln des Freiberger Doms

Mit Programmtiteln ist das so eine Sache – sie können einen Abend verschönern oder ein Bukett binden, bergen aber eine »Korsettgefahr«, wenn sie thematisch zu sehr eingrenzen. Bei Ute Gremmel-Geuchen tat sich im Freiberger Dom St. Marien gestern der Verdacht auf, daß sie das Problem elegant umgangen bzw. diplomatisch gelöst hat: »Bach im Zentrum« – aha. Immerhin lockte es mit Bach, traf sozusagen ins Kernrepertoire, und war faktisch auch richtig, denn Bach stand in der Mitte des Programms. Abgesehen davon hatte die Titularorganistin der Paterskirche zu Kempen vermutlich einfach Stücke zusammengestellt, die ihr gefallen. Und die rückten ganz unterschiedliche Aspekte in den Mittelpunkt, wie Familienbeziehungen oder den Unterschied (fast schon Gegensatz) zwischen Barock und Romantik.

Am Beginn standen zwei Werke von Georg und Gottlieb Muffat. Während der erstere (Vater) in der Barockmusik sehr bekannt ist und sich sogar ein belgisches Barockorchester nach ihm benannt hat (Les Muffatti), ist der Sohn keineswegs so bekannt wie die komponierenden Söhne Johann Sebastian Bachs. Während bei diesem Carl Philipp Emanuel zu Lebzeiten sogar berühmter als der Vater war, konnte Gottlieb Muffat aus diesem väterlichen Schatten nie heraustreten.

Georg Muffats Siegel © Archiv des Bistums Passau

Den Vortritt ließ Ute Gremmel-Geuchen Georg Muffat und seiner Passacaglia in g, die an der Großen Silbermann-Orgel mit einer sanften Begrüßung begann und die erstaunliche Wandlungsfähigkeit zeigte, die in den Silbermann-Registern liegt. Das ostinate Thema kleidete sie bald in strahlende, dann in figurative, auch einmal »flötige« (wie Holzbläser klingend) Charaktere. Mit dem Tonartumschwung am Ende wurde die Eröffnung noch einmal betont und damit die Neugier bzw. Frage, was nun folgen werde, angefacht.

Zunächst wechselte Ute Gremmel-Geuchen an die Kleine Silbermann-Orgel, wo sie Gottlieb Muffats Partita c-Moll präsentierte und damit ein reizvolles Genrestück vorwies, wie sie auch Johann Sebastian Bach (etwa) zur gleichen Zeit geschrieben hat. Auf das helle Prélude folgte eine mild und gedämpft schimmernde Allemande, der die Organistin die Leichtigkeit eines Andantino verlieh. Im Verlauf vollzog sich eine dynamische Steigerung, die nur im vorletzten Satz, einem Menuett, recht schicklich-höfisch im Temperament angemessen unterbrochen wurde. Die auch im Rhythmus gegebene Gelassenheit stand der Sarabande (dritter Satz) gegenüber, die zwar ebenso einem ruhigen Fluß gefolgt war, aber von flirrenden Obertönen beflügelt schien. Die Kleine Silbermann-Orgel konnte in der Feingliedrigkeit der Partita somit ihren ganzen Farbenreichtum zeigen, ohne gegenüber der großen Schwester zurückzustehen.

Die kam mit Johann Sebastian Bach wieder ins Spiel. Die Choralbearbeitung »Liebster Jesu Christ, wir sind hier« (BWV 731) setzte nach Gottlieb Muffats Partita keinen übermäßigen Kontrast, sondern sorgte für aus tiefem Herzen kommende ruhige Besinnung, bevor mit Praeludium und Fuge G-Dur (BWV 541) die Silberfunken von Silbermann und Bach stieben durften. Die Fuge schien das à la »Alles, was Odem hat …« noch einmal zu bekräftigen – vielleicht war dies der »Bach im Zentrum«, wie der Titel sagte? Doch auch Johann Sebastian Bach kannte sich in verspielter Ornamentik aus, wie das nachfolgende Trio super »Herr Jesu Christ, dich zu uns wend« (BWV 655) bewies.

Jan Albert van Eyken hat ein überschaubares Œuvre hinterlassen, doch vor allem seine Orgelsonaten sind beachtenswert. Freilich vollführte Ute Gremmel-Geuchen mit der zweiten (d-Moll, Opus 15) einen »Sprung« vom Barock in die Blütezeit der Romantik, womit sich sogleich neben den rein musikalischen Sonatenelementen auch bildhafte Vergleiche, etwa mit der Abendsonne, die durch die oberen Domfenster drang, herstellen ließen.

5. Juli 2024, Wolfram Quellmalz

CD-Tip: Ute Gremmel-Geuchen an der Richard-Ibach-Orgel, Kirche Sint Gertrudis (Bergen op Zoom): Jan Albert van Eyken, Orgelsonaten c-Moll Opus 13, a-Moll Opus 25 und d-Moll sowie weitere Werke, SACD, erschienen bei Aeolus





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