Beständigkeit im Wandel der Zeit

Sächsische Staatskapelle feiert 170 rege Jahre ihres Tonkünstlervereins

Vor 170 Jahren begann am Sächsischen Hof mit Moritz Fürstenau ein weiteres Kapitel Musikgeschichte. Der Flötist der Hofkapelle, später Kammermusikus und aus heutiger Sicht auch Musikhistoriker, war in einer Musikerfamilie großgeworden. Sein Bestreben, nicht nur im Dienst und nach Vorschrift, sondern auch im eigenen Interesse und zum (professionellen) Vergnügen zu spielen, ließ ihn 1854 den Tonkünstlerverein Dresden gründen (heute Kammermusik der Staatskapelle Dresden). Hier stand instrumentale Kammermusik im Mittelpunkt, und zwar ganz besonders die zeitgenössische.

Zwar hat sich das Profil der Programme seitdem stark in Richtung Historie verschoben, aber nicht nur – bis heute gehören moderne Stücke und Uraufführungen zu den Kammerabenden. Petr Popelka, der mittlerweile eine Weltkarriere als Dirigent begonnen hat, brachte während seiner Orchesterzeit (Kontrabassist) eine Reihe von eigenen Werken zur (Ur)aufführung. In der kommenden Spielzeit wird zum Beispiel Corrado Maria Sagliettis »Settimo moderno« erklingen. Ein Werk des italienischen Komponisten und Hornisten durfte am Montag die zweite Ausgabe des Wandelkonzertes beschließen, in dem nahezu 40 Kapellmusiker ihren Tonkünstlerverein feierten. Und das an einem historischen Ort, dem Residenzschloß. Denn hier (selbst wenn die Schloßkapelle derzeit nicht zugänglich ist) begann die Geschichte des Orchesters vor nunmehr bald 676 Jahren.

Musiker der Sächsischen Staatskapelle zwischen Rüstungen im Riesensaal (links) sowie als Harmoniemusik in der Türckischen Kammer, Photos: NMB

Marius Winzler, Direktor des Grünen Gewölbes und der Rüstkammer der Staatlichen Kunstsammlungen Dresden, hieß das Publikum am historischen Ort willkommen. Das Konzert wandelte durch insgesamt sechs Räume und Säle, incl. des (überdachten) Kleinen Schloßhofes, wo die Blechbläser mit einem »Dresdner Aufzug« (Fanfare) für den festlichen Anfang sorgten. Matthias Wilde (Violoncello) und Bernhard Kury (Flöte), beide Orchestermitglieder und organisatorisch in der Kammermusik engagiert, führten das Publikum nicht nur buchstäblich durch die Räume, sondern erklärten musikalische Zusammenhänge im Kleinen Ballsaal, dem Riesensaal oder der Kunstkammer der Gegenwart. Hier – dieser Raum war neu erfunden worden – erklangen zum Beispiel die modernsten Werke. Wie die Namen der anderen Komponisten sind auch Siegfried Matthus oder Hans Werner Henze untrennbar mit Dresden und der Kapelle verbunden. Übrigens war der Montag der 98. Geburtstag Henzes, der in Dresden noch im hohen Alter eine Blütezeit erlebte und hier kurz nach einer Uraufführung verstarb.

Eng verbunden mit der Staatskapelle war auch Erwin Schulhoff. Seine »Baßnachtigall« für Kontrafagott klingt schon grotesk, wenn man den Titel auf dem Programmzettel liest. Eine grummelnde, brummelnde Nachtigall? Ein herrlicher Spaß, der mehr klang, als übe die Nachtigall Saxophon statt zu schluchzen und zu schlagen! Derart gewitztes sollte es noch mehr geben …

Auf gediegenen Glanz im Eckparadezimmer (links) folgten moderne Stücke in der Kunstkammer der Gegenwart, Photos: NMB

Natürlich standen die meisten Werke in der Tradition des Orchesters. Heinrich Schütz (Instrumentale Canzona »Verleih uns Frieden gnädiglich«, SWV 372) fehlte hier ebensowenig wie eine Triosonate von Johann Joachim Quantz oder Auszüge aus einer Sinfonie Johann Adolph Hasses. Alles präsentiert mit heutigem Instrumentarium – die Kapelle, die Violinen, Bögen oder Blasinstrumente mögen sich verändert haben, die Traditionspflege läßt aber Zelenka (Allegro aus der Sonata Nr. V) oder Vivaldi (Fagott-Konzert e-Moll) natürlich ebenso im modernen Kleid zu.

Die Räume, das Wandeln zwischen den Ausstellungsstücken, Pferden, Waffen, kunstvollen Gegenständen und Carl Maria von Webers originalem Taktstock, sorgten für eine einzigartige Atmosphäre. Im Eckparadezimmer, wo einst Schauessen stattfanden, gab es Tafelmusik, während in der Türckischen Kammer eine Harmoniemusik aus Mozarts »Die Entführung aus dem Serail« erklang. Tief romantisch wurde der Kleine Ballsaal überwiegend romantisch eingefärbt: nach einer Phantasie über Webers Max-Arie aus dem »Freischütz« von Anton Bernhard Fürstenau (dem Vater von Moritz) erklangen mit Clara Schumann, Johannes Brahms und Felix Draeseke wichtige Dresdner Komponisten – der Fall Draeseke und seines Streichquintetts Opus 77 zeigte, daß hier noch manch reizvolles Stück wieder hervorgeholt werden kann.

Den letzten Teil vergoldete Richard Strauss‘ Serenade Opus 7, wobei gerade der Klang der Hörner durch die andere Raumsituation als auf der Bühne noch geheimnisvoller durch den Schloßhof schwebte als gewohnt. Corrado Maria Saglietti »Speedy« aus der Suite für Horn und Streichquartett war nicht nur ein gewitzter Abschluß, sondern ein Ausblick der neugierig machte.

2. Juli 2024, Wolfram Quellmalz

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