Festival Alter Musik empfängt bis August internationale Gäste
Am Dienstag begann das Letní slavnosti staré hudby, das Sommerfestival der Alten Musik in Prag – es ist bereits die 25. Ausgabe. Schon ein Blick ins Programm genügt, um neidlos neidisch zu werden, denn Prag erweist sich nicht nur ein weiteres Mal als ein Zentrum der Alten Musik, es präsentiert sich äußerst vital! Neben zahlreichen Prager Künstlern (das Collegium Marianum ist einladender Veranstalter und Mitgestalter) gibt es internationale Gäste. Bekannte Namen wie Hille Perl oder die Capella de la Torre tauchen ebenso immer wieder auf wie Barockensemble aus ganz Europa zu Gast sind. In diesem Jahr kommen sie aus Polen (letzten Donnerstag: Wrocławska Orkiestra Barokowa), Italien (morgen: Talenti Vulcanici) oder Spanien (31. Juli: Euskal Barrok Ensemble) und treten mit Größen der Alte-Musik-Szene wie Stefano Domicheli (Cembalist und Dirigent) oder dem Barockcellisten Jarosław Thiel auf. Kommende Woche (24. Juli) verschlägt es auch Katharina Bäumls Capella de la Torre erneut nach Prag, womit sich für uns die Gelegenheit einer schnellen Wiederbegegnung ergibt: heute präsentieren die »Turmbläser« (so könnte man Capella de la Torre übersetzen) ihr Programm »Wir sind ein Traum der Zeiten« mit als musikalische Europareise durch 16. und 17. Jahrhundert in der Hoflößnitz, womit sie den Kreis um Heinrich Schütz bis zu Claudio Monteverdi zeigen; drei Tage später spielen sie »Tempus mirabilium« (Die Zeit der Wunder) in der Sankt Simon und Judas Kirche (Kostel svatého Šimona a Judy) Prag, dann besonders mit deutschen Komponisten des 17. Jahrhunderts. Michael Praetorius gehört dann ebenso dazu wie Constantin Christian Dedekind.

Apropos Sankt Simon und Judas Kirche – verweilen wir kurz beim Ort, denn neben der Musik gibt es mit jedem der sieben Konzerte auch ein Stück Prag zu entdecken. Nach der Klosterkirche des Emmausklosters in der Prager Neustadt (Kirche der Jungfrau Maria bei den Slaven / Kostel Panny Marie a slovanských patronů) am Dienstag ist der Alte-Musik-Sommer wieder zweimal auf Schloß Troja sowie im Kloster Strahov (Strahov Monastery) und der Míčovna (Ballspielhalle!) der Prager Burg zu Gast. Als Abschluß und vielleicht Höhepunkt erwartet das Publikum am 6. August eine Aufführung von Georg Friedrich Händels »Acis and Galatea« im Theater Divadlo ABC. Neben dem Collegium Marianum und seiner Leiterin, der Flötistin Jana Semerádová, wirken dann die Marionettenspieler von Buchty a loutky (»Buchteln und Puppen«) mit.

Die Vitalität der Prager Szene und des Internationalen Musikfestes zeigte sich schon am Dienstag wieder besonders in zwei Punkten: den zahlreichen Besuchern (die Klosterkirche war ausverkauft) sowie einem Programm, das weit abseits bekannter Stücke der Alten Musik vieles bot, was ungewohnt, kaum gehört oder unbekannt überliefert war. Am Beginn des Letní slavnosti staré hudby gab es ganz Alte Musik aus Quellen des 14. und 15. Jahrhunderts, viele der Ursprünge durfte man gerne noch einmal (mindestens) dreihundert Jahre früher suchen. Denn die Gregorianik, die das Tiburtina Ensemble um Leiterin Barbora Kabátková in vielen Stücken beschwor, war schon damals eine Rückbesinnung, Weiterverarbeitung, gehörte zum Wiederaufgreifen. Die außergewöhnliche Besetzung der sechs Stimmen (vier Soprane, zwei Alt) sorgte immer wieder für schwebende, sphärische Stimmung. Den vier namentlich bekannten Komponisten Guillaume Dufay, Jacob Obrecht, Gilles Binchois und John Dunstaple standen allein neun Werke »Anonymus« gegenüber. Was bedeutet, daß man im Grunde nicht wußte, worauf man sich einließ, außer daß es sich um Introitus, Basse danse und andere Formen handelte. Solcher Mut in der Programmierung und solche Vielfalt zeigen, wie neugierig und aufgeschlossen das Publikum ist.

Dafür erlebte es eine große Abwechslung, denn nicht nur in den Stimmen gab es Soli und Duette, in der Begleitung wechselten sich Fidel, Psalter und Bläser, ein Organum (eine tragbare Orgel) und gotische Harfen (hierhin wechselte sogar Sopranistin Hana Blažíková) ab. Die Bläser (Trompete, Posaune) verwiesen in ihrer Bauform noch auf eine Zeit vor dem Chalumeau, wie es Katharina Bäuml spielt. Und haben Sie je eine Trumba marina, ein Trumscheit, erlebt? Wenigstens im Musikinstrumentemuseum? Hier gab es all das im Konzert! Und erstaunte mit seinen teils leicht schnarrenden Klängen. Mitunter mußte man schauen, wer bzw. WAS da gerade spielte und gerade Klang verursachte! Oder wieviel Instrumente, denn manche, wie die Harfe, konnten ihren Charakter ändern. Die wild tönende Trumba marina war allerdings leicht auszumachen. Das Instrument mit nur einer Saite, die ursprünglich gezupft wurde, aber auch gestrichen werden kann, entwickelt durch seinen eckigen Schalltrichter einen Ton, der wie geblasen klingt. Kein Wunder, daß sie am Ende bei der Zugabe noch einmal dazu geholt wurde. Bei der Trumba marina liegt sogar der genaue Ursprung im ungewissen. Daß es sich dabei um eine Tromba marina, eine Marinetrompete zur Signalgebung auf Schiffen gehandelt haben könnte, ist mehr eine Vermutung als daß diese Herkunft nachgewiesen wäre.

Ein Alte-Musik-Konzert ist immer eine besondere Zeitreise. Hier hatte man den Eindruck, in manchem dem musikalischen Ursprung näherzukommen. In den kommenden Konzerten des Alte-Musik-Sommers sind ähnliche Expeditionen zu erwarten, wenn die Talenti Vulcanici die italienische Musik des 17. und 18. Jahrhunderts erkunden oder Sopranistin Ana Vieira Leite mit dem portugiesischen Ensemble Os Músicos do Tejo die iberische Halbinsel durchkreuzt (29. Juli). Wer lieber in bekannteren Gefilden bleibt, dem sei Händel empfohlen, oder er war beim Konzert »Le salon de la musique«. Denn neben der Entdeckung Ignacy Feliks Dobrzyński durfte man sich auf Mozart und Beethoven freuen.
Aber Achtung – die Karten sind schnell ausverkauft!
17. Juli 2024 (redaktionelle Anpassung: 21. Juli), Wolfram Quellmalz