Landesbühnen Sachsen zeigen Webers Freischütz als sehenswerte Gruselmär auf der Felsenbühne Rathen
Im vergangenen Jahr hatten wir bereits die Premiere von Carl Maria von Webers »Der Freischütz« auf der Felsenbühne Rathen besucht (https://neuemusikalischeblaetter.com/tag/der-freichschutz/) – Pech damals, daß pünktlich zu Vorstellungbeginn ein stetiger Nieselregen einsetzte. Die Vorstellung mußte gekürzt und schließlich abgebrochen werden. Wie damals versprochen, holten wir den Besuch einer ungestörten Aufführung am vergangenen Wochenende nach.
Seit 1956 ist Carl Maria von Webers Romantische Oper »Der Freischütz« von der Felsenbühne Rathen praktisch nicht wegzudenken. Immer wieder gab es neue Inszenierungen. Zuletzt hat im vergangenen Jahr Intendant Manuel Schöbel seine Interpretation präsentiert – die erste seit dem Umbau und der Modernisierung der Bühne. Sie ist, das hatte sich schon in den wetterbedingt nur in Ausschnitten zu sehenden Szenen gezeigt, erlebenswert. Denn den Landesbühnen gelingt ein Spektakel für die ganze Familie, das Märchen, Gruselgeschichte und spektakulär inszenierte Bilder präsentiert. Vor der einzigartigen Naturkulisse und mit moderner Technik verstärkt erlebt man eine aufregende Geschichte, erkennt Opernklassiker wieder (oder lernt sie hier kennen) und – ehrlich – auch für Kinder ist es nicht zu gruselig.
HANDLUNG
Jäger Max, ein »strammer Bursche«, hat sich seinen Stand längst verdient, ist unter seinesgleichen anerkannt bzw. hat er sich (leicht) über seinen Stand erhoben. Die Nuance der Unterscheidung ist wichtig: einerseits noch »einer von uns« und für seine Initiative und sein Handeln respektiert, hat er sich »nach oben« gearbeitet. Er steht kurz davor, eine Erbförsterei zu übernehmen und die Tochter Agathe seines Vorgängers zu heiraten. Wie gut, daß diese ihm tatsächlich zugetan ist. Hierin, in der romantischen Freiheit und Versicherung, liegt der Schlüssel zu Webers Drama.
Denn plötzlich, so kurz vor dem Ziel, bekommt Max – ja, was? Nervenflattern? Er trifft keine Amsel mehr, versagt, verzagt, wird anfällig für schlechte Einflüsse. Diese flößt ihm Kaspar, der Erste Jägersbursche, ein. Er will Max »helfen«, will zielsichere Freikugeln mit ihm gießen. Freilich will Kaspar nichts weniger als helfen, will mehr als nur einen Konkurrenten um Amt und Braut ausstechen – Kaspar hat seine Seele dem Teufel verkauft und hofft diese loszulösen, indem er eine andere (Max‘) ausliefert.
Letztlich verliert er damit bzw. gewinnen Max und Braut Agathe durch ihre reinen Seelen eine Bewährungsfrist für die Zukunft …
INSZENIERUNG
Die Felsenbühne Rathen ist ein Erlebnisort für Familien. Hier trifft man einen hohen Teil kulturinteressierte Ausflügler und Familien. Den real-historischen Hintergrund der Oper (Zeit nach dem Dreißigjährigen Krieg) oder die Ambivalenz einzelner Figuren (Kaspar) zu erhellen, ist es eher nicht der richtige Ort. Muß es auch gar nicht sein – Carl Maria von Weber hat mit seiner herrlichen Musik die Deutsche Romantik nicht nur beispielhaft dargestellt, sondern mitkreiert – warum nicht in solchen Melodien schwelgen?
Dabei hat Regisseur Manuel Schöbel nicht nur die Möglichkeiten der Technik ausgenutzt, sondern durchaus eine Doppelbödigkeit »eingebaut« – Samiel, eine Sprechrolle, der teuflische Geist, von Andreas Petzoldt mit Scherenhänden dargestellt, streift schon zu Beginn zwischen Bühne und Publikum und wird am Ende neue Gehilfen rekrutieren. Seine Verführungskraft macht die Figur gleichermaßen märchenhaft-böse wie teuflisch-real – jeder sehe und erlebe nach seinem Erfahrungshorizont! Seine Gehilfen, spinnenhafte Augenwesen (an diesem Abend Lorenzo Giovanetti, Gavin Law, Igor Prandi und Tuan Ly) zeigen, daß dieser Teufel kein im verborgenen agierende Magier ist, sondern ein Machthaber, der sein Wirken organisiert, Vasallen braucht.

Darüber hinaus ist die wirklich fabelhafte Szenerie (Ausstattung: Anja Furthmann) mit allem angereichert, was für Atmosphäre und Stimmung sorgt: Pferde gehören in Rathen oft dazu, es gibt Wasser und Feuerwerk – die Wolfsschluchtszene ist eine großartige Schau! Oper als Erlebnisse – was will man mehr? Da darf man gerne herzlich reflektieren, ob die Glocke, die den Vorstellungsbeginn ankündigt, hier wegen Webers London-Aufenthalte nach Big Ben klingt oder ob es einen Unterschied zwischen »Steinadler« und »Bergadler« gibt. (Die Begriffe stehen so tatsächlich im Libretto von Friedrich Kind. Natürlich ist »Bergadler« nicht korrekt. Aber letztlich ist man froh, daß es nur eine Geschichte ist, denn es hätte sonst bedeutet, daß Max einen Steinadler [!] nur deshalb geschossen hätte, um seiner Braut zu imponieren! Die Art [Steinadler, nicht Braut] ist heute nicht nur geschützt, sondern wird behütet, damit sie nicht ausstirbt.)
Wer mehr der Realität und dem Zeitgeist nachspürt, der denke darüber nach, warum der Erbförster mit einem Rollator unterwegs ist …
AUFFÜHRUNG
Die Elbland Philharmonie Sachsen ist versiert darin, an unterschiedlichsten Orten verschiedenste Werke zu erwecken. Mit dem »Freischütz«, spürt man, hat sie bereits Erfahrung. Dirigent Hans-Peter Preu achtet auf straffe, aktionsgerechte Tempi und behält die Sänger im Blick, ebenso den Chor der Landesbühnen Sachsen und des Extrachors der Landesbühnen Sachsen. Insofern bleibt die Aufführung souverän. Eine Gefahr, jemanden zu »übertönen«, also zu laut zu spielen, zu stark zu forcieren, besteht nicht wirklich. Trotzdem entsteht nicht der Eindruck, die Aufführung sei techniklastig, denn Mikrophone und Lautsprecher sind gut platziert und ausgesteuert. Nur im Jungfernchor fiel einmal ein Mikrophon aus, und auch da überspielten die Sängerinnen die Situation gekonnt. Der akustisch vielleicht einzig irritierende Moment ist ausgerechnet der Jägerchor – der Chor steht rechts, der Klang kommt aber wesentlich vom Lautsprecher links (über dem Orchester). Trotzdem ist es ein echter Klang, also vom Chor (Einstudierung: Daniele Pilato) abgenommen und nicht vom Band eingespielt.

Noch mehr werden die Charaktere in Kostüm und Darstellung sichtbar, authentisch. Exemplarisch sozusagen, um noch einmal auf die Familien zurückzukommen. Wenn man Kindern den Helden Max (Aljaž Vesel) und seine Zweifel, seine Braut Agathe (Anna Erxleben) und ihr Bangen, ihre etwas ungestüme, lebensfrohe Brautjungfer Ännchen (Anna Maria Schmidt) – sie hat längst selbst einen Liebsten – oder den bösen Verführer Kasper (Radebeuls Vielgestalter Paul Gukhoe Song) erklären will, wenn sie Samiel oder seine Gehilfen entdecken, bleibt nicht nur die Übersicht gewahrt, ist Spannung und Kurzweil angesagt! Die Besetzung ist bis zu Kilian (Florian Neubauer, auch Erster Jäger) stark und auf dieser Bühne erfahren.

Und immer wieder begeistern Webers Melodien, ob nun romantisch oder volkstümlich, bis zum Holzschuhtanz. Das macht Spaß und braucht keine Hürden – man versteht, was passiert und was gesungen wird, da könnte man auf die Texttafel fast verzichten. Wer den »Freischütz« schon kennt, darf gerne weiterdenken – was sind das für Dokumente, die der Erbförster da verbrennt? Wie darf man das Ende – den Freispruch und die durch den Eremiten (Do-Heon Kim) verordneten Traditionsumkehr verstehen? Manches Wort erfährt eine neue Betonung, und sei es in Ännchens Gespenstererzählung mit seiner witzigen Auflösung …
22. Juli 2024, Wolfram Quellmalz
Wieder am 31. Juli sowie am 1., 2. (Beginn: jeweils 19:30 Uhr) und 3. August (Beginn: 17:00 Uhr): Carl Maia von Weber »Der Freischütz«, Landesbühnen Sachsen / Felsenbühne Rathen. Alle Angaben zu Terminen, Besetzung und Anfahrt unter: