Talenti Vulcanici beim Alte-Musik-Sommer in Prag
Die zweite Reise zum Letní slavnosti staré hudby, dem Sommerfestival der Alten Musik in Prag, führte uns gestern wieder einmal zum Schloß Troja (Zámek Troja). Das Musikfest ist in gleich mehrerlei Hinsicht beachtenswert: zunächst natürlich wegen der gebotenen Vielfalt und Qualität. Dabei galt die Aufmerksamkeit erneut ganz den Gästen – anders als bei manchem anderen Veranstalter, der sich bei einem solchen Anlaß vielleicht selbst in Szene setzt, bleibt das Collegium Marianum hier im Hintergrund. Gründe zu feiern gibt es allerdings – mit der 25. Auflage feiert Letní slavnosti staré hudby zum Beispiel ein silbernes Jubiläum!
Manches kommt einem bekannt vor, wenn man nach Prag fährt – zumindest von Dresden kommend fallen die Nachbarschaft und mancher gemeinsamer Sinn auf und zeigen sich mitunter ganz konkret, wie in den Sandsteinfiguren unter der Freitreppe des Zámek Troja – die meisten stammen vom sächsischen Bildhauer George Heermann (um 1640 bis nach 1700), der zuvor am Palais im Großen Garten in Dresden gearbeitet hatte. Auch drinnen im Schloß finden sich bis zu den teils original deutschen Beschriftungen der Bilder Spuren des gemeinsamen Kulturraumes.
Den Festsaal bzw. Großen Saal schmücken überwältigende Ausmalungen, welche unter anderem die Apotheose der (Habsburger) Sieger über die Türken bei Wien darstellen. Während die Fresken hier von den niederländischen Malern Abraham und Isak Godin stammen, haben Francisco Marchetti und sein Sohn Giovanni die anliegenden Räume verzierte. Ihnen dienten Motive der antiken Mythologie sowie die Feier der Schloßbauherren als Themen.

Am Montagabend traten dann italienische Farben besonders in den Vordergrund – mit musikalischen Ausdrucksmitteln. Dabei zeigte sich: die Talenti Vulcanici um ihren Leiter Stefano Demicheli darf man trotz ihrer italienischen Herkunft und des vulkanischen Namens nicht auf »Feuer und Flamme« gleichsetzen und auf Attribute des Temperaments allein reduzieren! Im Gegenteil bezauberten sie mit Stil, Geschmack und feinen Abstufungen der Ausdrucksmittel, und das nicht nur in Sachen Farbe, sondern ebenso bei der Dynamik oder rhythmischen Akzenten, welche die Talenti Vulcanici differenziert zu setzen wußten.
Zuallererst spürte man dies bei Margherita Pupulin, die trotz Stefano Demicheli am Cembalo wesentliche Führungsarbeit übernahm. Vor allem aber schmeichelte und betörte sie mit einem Violinton und einer sanften Phrasierung, die viele Schattierungen kannte und weniger auf Kontrast als auf Einfühlsamkeit und innige Interpretation baute. So fiel ihr Gegenüber mit Heriberto Delgado (zweite Violine) meist nicht als Gegendarstellung auf, sondern führte in ein gemeinsames, fast homogeges Spiel; noch dann, wenn sie Sonaten von Domenico Gallo spielten, die ausdrücklich für zwei Stimmen komponiert sind.

Galli war wiederum eine Entdeckung, weil die Motive der Sonata in G eine Nähe bzw. Verwandtschaft mit den Triosonaten Johann Sebastian Bachs offenlegten. Dabei führten die Talenti Vulcanici das luftige Werk sozusagen in Mehrchörigkeit vor.
Gleich darauf hob Margherita Pupulin in Nicola Fiorenzas Sinfonia in Re minore ihre lyrischen Fähigkeiten hervor. Über dem gediegenen Baß schwebten schließlich nicht nur die Violinen, sondern auch die Mauersegler, die zwischen den Sätzen kurz in den Saal riefen.
Vor dieser großen Form hatte Margherita Pupulin mit einer Suite Nicola Matteis für den vielleicht vertieftesten Eindruck des Abends gesorgt: Alia Fantasia, Sarabanda Amorosa, Gavotta und schließlich Scaramuccia (Scaramouch, »Scharmützel« im Sinne eines Wortgefechts) – zunächst solo und luftig-leicht wie bei Jean Sibelius (!), gewannen freie Rhythmen, die doch an der Passacaglia angelegt schienen, bald an Gewicht. Kurze Bogenstriche verbanden sich verblüffend mit melodisch weiten Bögen! Erst gegen Ende stimmte Juan José Francione an der Laute dazu ein, traten schließlich die übrigen Spieler im Tutti bzw. in Concerto-grosso-Stil ins Scaramuccia ein. Nicht nur hier zeigte sich eine erfrischende Variabilität in den Variationen – individuelle Einfälle und Charakterisierungen statt effektvollen Steigerungen behielten die Oberhand.

Im zweiten Teil blieb das Konzert nach der Sinfonia vor der Pause mit Francesco Durantes Concerto primo in Fa minore zunächst bei der größeren Form. Der Neapolitaner führte seine »Landsleute« (wenn man die »vulkanischen Talente« einmal so sehen möchte) auf einen Gipfel tänzerischen und rhythmischen Effets, bevor eine weitere der entzückenden Sonaten Angelo Ragazzis eine Nähe zu Vivaldi zeigte – glückliche Seufzer und Schluchzer waren hier eingeschlossen. Wie schon im ersten Programmteil hatte die fast miniaturhafte Sonate alles, was ein Lieblingsstück braucht – sie ging ans Herz!
Zuvor hatte Stefano Demicheli zwei der Sonaten Domenico Scarlattis gespielt (K 208 und K 209). Zwar ausgezeichnet ausgeführt, schienen sich die beiden Soli für Tasteninstrument nicht recht ins übrige Programm zu fügen – da hätte sich der Leiter mit seiner Rolle als geistigem »Vater« und Programmgestalter durchaus begnügen und auf den eigenen Auftritt verzichten können.

Um so mehr erfrischte am Ende die berühmte »Folia« in einer weiteren Fassung. Noch einmal Domenico Gallo, durfte sich das Thema in drei Sätzen über die Variationen entfalten. Wieder zeigte sich, daß Gallis Werke nicht einen aufgesetzten Effekt suchen, sondern einem inneren Impuls folgen, von den Talenti Vulcanici noch einmal mit energetischem Einsatz umgesetzt! Pizzicati im feinsten Pianissimo gehörten ebenso zu den Ingredienzen wie eine Cembalokadenz und eine feurige Viola (Sara Bagnati).
Das Publikum feierte Talenti Vulcanici ausgiebig und bekam dafür noch zwei Zugaben: eine Tarantella sowie eine Wiederholung aus dem Hauptprogramm.
23. Juli 2024, Wolfram Quellmalz