Reigen tänzerischer Geister

Capella de la Torre in der Hoflößnitz

Der erste Besuch von Katharina Bäumls Ensemble in der Hoflößnitz liegt bereits über zehn Jahre zurück. Damals fanden die Konzerte noch im Lust- und Berghaus statt. Äußerlich hübsch, aber schlicht, beeindruckt es innen mit Kassettendecke und reichen Ausmalungen exotischen Getiers um so mehr. Derart betörend ist der neue Veranstaltungssaal unter dem Dach des Pressenhauses zwar nicht, dafür aber klimatisiert – wieder einmal zeigt sich: früher war vielleicht nicht alles besser, aber manches schöner!

Hoflößnitz mit dem Lust- und Berghaus (oben links) sowie dem Pressenhaus mit neuem Veranstaltungssaal im Vordergrund rechts, Photo: Hoflößnitz

Bei drückender Hitze und nahendem Gewitter, jedoch im Augenblick noch ohne jede meteorologische Entspannung, überwogen am Sonntagnachmittag die Vorteile der Klimatisierung. Allerdings ist die Capella de la Torre so oder so in einem Punkt robuster als manches Alte-Musik-Ensemble: mit Bläsern und Schlagwerk, aber ohne Streicher, ist sie für Temperatur- und Luftdruckschwankungen weniger anfällig. Das Nachstimmen, das man gerade von Geigen und Gamben gewohnt ist, war damit auf ein Minimum reduziert.

»Wir sind ein Traum der Zeiten – Eine musikalische Europareise ins 16. und 17. Jahrhundert« hatte Katharina Bäuml ihr Programm überschrieben, was sie nicht hinderte, an diesen zeitlichen Rändern zu »knabbern«, wie bei Johann Hermann Schein oder Josquin Desprez, die bereits im 16. und 15. Jahrhundert geboren worden waren. Andererseits faßt die Capella de la Torre ihre Musik durchaus als zeitgenössisch auf, denn sie spielt sie ja heute und für das Publikum jetzt und nicht für ein früheres. Für Katharina Bäuml ist das deshalb so wichtig, weil improvisatorische Momente immer dazugehören, Impulse aufgenommen werden. Insofern warnte die Leiterin »So wie sie kucken, das beeinflußt uns, wie wir spielen – also haben sie ihre Blicke unter Kontrolle!« Nicht nur das – als später im Konzert ein Mobiltelephon eine eingehende SMS ankündigt, nahm Martina Fiedler an der Orgel das Motiv spontan in eine Überleitung auf …

Tatsächlich ließ sich das improvisatorische Element nicht nur herausspüren, es war oft bestimmend. Einerseits, weil viele Stücke einem fließenden, tänzerischen Bewegungsablauf folgten, aus dem reihum die Instrumente solo hervortraten, andererseits waren sie jeweils in Blöcken mit Übergängen zusammengefaßt. Eine ausgearbeitete Coda wie bei einer Sonate oder einen expliziten Schlußakkord gab es selten, dafür oft ein überraschendes Ende, bei dem man gespannt sein durfte, wer nun den letzten Ton haben würde.

So ging es im Reigen der Instrumente mit Hildegard Wippermann, die den »Altpommer« (keine pommersche Mettwurst, sondern eine Schalmei in der Stimmlage Alt) manchmal gegen eine Renaissanceblockflöte tauschte, wie Annette Hils, die sonst den Baßdulzian (Vorgänger des Fagotts) spielte, Yosuke Kurihara (Posaune), Johanna Vogt (Laute) und Peter Bauer (Schlagwerke bzw. Perkussion) bis zu Martina Fiedler, die Chefin führte mit der Schalmei. Abwechslung gab es nicht nur wegen des Reihum-Prinzips, sondern durch die Vielfalt der Werke.

Michael Praetorius hatte mit gleich fünf Stücken – alles Tanzsätze – die größten Anteile und sorgte für den Rahmen, Francesco Landinis kleiner Frühlingsgruß »Ecco la primavera« holte gar Musik des 14. Jahrhunderts in die Hoflößnitz. Vertont hatten die Komponisten damals, was den Menschen am Herzen lag. Die Liebe also ebenso wie den Frieden (»Verleih uns Frieden« im Satz von Praetorius), gleichzeitig war aber auch das musikalische Schlachtengemälde der Battaglia, hier aus einer anonymen Schrift präsentiert, zum eigenen Genrestück geworden. Der Dresdner Dichter und Komponist Constantin Christian Dedekind wiederum reflektierte einst über den »Wandel der Zeit« – als »Wir sind ein Traum der Zeiten«, dessen Text Katharina Bäuml zwischen den Strophen vorlas, war es nun zum Programm geworden. Das Werk selbst, von Laute und Orgel vorgetragen, gehörte zu den liedhaften, intimeren Stücken.

Oftmals, hatte Katharina Bäuml erklärt, waren die Texte den Menschen damals bekannt, auch wenn ein Werk nur instrumental gespielt wurde. So wie Josquin Desprez‘ »In te Domine speravi« (Auf Dich, Herr, vertraue ich). Dabei schöpften weltliche und geistliche Inhalte oft aus dem gleichen Fundus und waren musikalisch kaum zu trennen. Von Landini über Schein (»Der kühle Maien«) bis zu Desprez‘ »Vostre esprit recréativ« bewahrte die Capella de la Torre den tänzerischen Reigen bis zum Schluß.

22. Juli 2024, Wolfram Quellmalz

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