Heinrich Schütz Musikfest auf Spurensuche
Einst gab es innerhalb des Heinrich Schütz Musikfestes (HSM) noch die auf Dresden konzentrierten Heinrich-Schütz-Tage, zu denen auch wissenschaftliche Betrachtungen, etwa in Symposien, gehörten. Mittlerweile ist dieses Fest im Fest im HSM aufgegangen, hat sich aber nicht ganz verloren. Mit den Partnern Dresdner Hofmusik e. V. und Sächsische Landesbibliothek – Staats- und Universitätsbibliothek Dresden (SLUB) gibt es alljährlich Betrachtungen zu und rund um Schütz. Am Dienstag gestaltete sich dies besonders spannend, denn neben den teils sehr alten Quellen, wie einem der ersten nach der Reformation gedruckten Choralbücher, und den sie präsentierenden Musikwissenschaftlern bzw. der Kuratorinnen der SLUB (Andrea Hammes und Katrin Bicher aus der Musikabteilung), war Marin Schicketanz vom Residenzensemble Ælbgut zugegen. Seine Einblicke erwiesen sich als doppelt interessant, gaben sie doch ein Stück des Weges preis, wie sich Ælbgut seine Programme erarbeitet, wie sie nicht weniger den Musiker und Menschen zeigten. Denn er hat ein Faible oder »Steckenpferd«, auf jeden Fall eines in den Texten der alten Werke, seien es die Gedichte, aus deren Ursprung später Lieder entstanden, oder seien es die besonderen Notationen – die schwedisch geschriebenen Texte der Werke, die für den Hof von Christina (bzw. Kristina) von Schweden entstanden, verrieten durch ihre (falsche) Schreibweise unmißverständlich der Herkunft des Autors: Italien. Kristina war nicht nur durch Italien gereist, sondern hielt sich lange dort auf, konvertierte zum Katholizismus (!) und suchte sich Musiker für ihre Hofkapelle daheim.
Der wahrhaft erlesene Kreis, der sich im Talleyrand-Zimmer der SLUB einfand, erfuhr aber, veranschaulicht an historischen Drucken und Abschriften, vieles zur Quellenlage und zur Mühe einer Recherche. Die Digitalisierung erleichtert heute manches, etwa durch gemeinnützige Einrichtungen wir das Répertoire International des Sources Musicales (RISM), das hilft, Quellen zu finden, andererseits rücken die Originale bzw. der Umgang mit ihnen damit auch in eine gewisse Ferne. Daß die Mühe lohnt, können Besucher des HSM noch mehrfach erfahren, etwa in den Konzerten von Ælbgut (Freitag Bad Köstritz, Abschlußkonzert am Sonntag in Zeitz) oder am Sonnabend in Dresden (unserer besonderer Konzerttip unten). Übrigens muß es nicht immer historisch sein, denn die SLUB hütet nicht allein den Bestand und unterstützt dessen Nutzung und Verbreitung, sie schafft ebenso neues an (was künftig historisch sein wird). So konnte man außerdem Einblick ins Aufführungsmaterial von Annette Schlünz nehmen, das Martin Schicketanz mitgebracht hatte. Ihr Auftragswerk »Tiefhoffnungsblau« war in den Eröffnungskonzerten uraufgeführt worden, die SLUB würde das Material gerne in ihren Bestand aufnehmen.

Die Frauenkirche, selbst wenn es die wiederaufgebaute Nachfolgekirche nach Heinrich Schütz ist, gehört ebenso fest in den HSM-Kalender. Am Dienstagabend war Gambistin Hille Perle mit ihrem Ensemble ihr Programm »Carte blanche«, eines von zweien im HSM-Programme, bei denen die Künstler »freie Hand« hatten und der Inhalt nicht vorab abgestimmt und geplant wurde. Hille Perl hatte ein Programm »Da pacem« (Gib Frieden) zusammengestellt und dafür sich und ihr Ensemble Sirius Viols Stücke bearbeitet, also für fünf Gamben eingerichtet. Das gelang vor allem im Mittelteil mit John Dowland und Johann Hildebrand und dem Countertenor Terry Wey, dennoch erreichten Sirius Viols nicht jene Innigkeit du Intensität, wie sie einem Consort eigen ist, ja teilweise fehlte regelrecht ein warmer Impuls.
Auch die Improvisationen der Sängerin und Pianistin Cymin Samawatie trugen nicht zur Spannung bei. In zwei Beiträgen riß Cymin Samawatie die Saiten ihres Flügels zunächst mit den Fingern an, was an den Klang einer Harfe erinnerte, blieb im Gestus aber eher bei Musik wie für eine esoterische Übung oder Meditation. Daß sie in beiden Fällen Texte, vermutlich Lieder einband, war kaum nachvollziehbar, da sie nur teils auf Englisch, teils auf arabisch (persisch?) gesungen waren.
Insofern faßte der »Kern« des Programms mit zwei Liedern der Krieges-Angst-Seufftzer von Johann Hildebrand und dem Countertenor sowie Arvo Pärts Gedenkstück »Da pacem Domine«, das die Musiker mit John Dowlands Lachrimae antiquae novae und Semper dolens umrahmten, den Programmtitel zielgenauer auf.
9. Oktober 2024, Wolfram Quellmalz