Girlanden und Liebesschwüre

Heinrich Schütz Musikfest verabschiedet sich mit einem Fund

»Welches Glück?« titelte das Heinrich Schütz Musikfest (HSM) am Sonnabend mehrdeutig, einen Tag vor dem Abschlußkonzert in Zeitz, beim letzten Dresdner Auftritte. Die Texte des Abends zielten auf das Liebesglück, das schon im 16. Jahrhundert eng mit dem Liebesleid verbunden war. Oder könnte man das Glück in den Werken einer Komponistin finden? Ja! Und das ganz ohne eine Frauen-können-das-auch-Attitude, sondern durch Erlesenheit und großartige Musik. Ausufernd und auflodernd hat Vittoria Raffaella Aleotti die Liebe damals besungen, oder »ungezähmt, kreativ, weiblich« (Motto des HSM), in dieser Reihenfolge. Oder lag das Glück darin, daß einer der Drucke von Vittoria Raffaella Aleottis »Ghirlanda de Madrigali« (1593) beim Brand der Anna-Amalia-Bibliothek vor zwanzig Jahren zwar beschädigt wurde, aber gerettet werden konnte? Nachdem Cantus Thuringia vor fünf Jahren bereits eine Auswahl aus den Madrigalen präsentiert hatte, wuchs zum (traurigen) Jubiläum daraus ein Programm, die CD ist pünktlich zum HSM erschienen.

Margaret Hunter, Benjamin Glaubitz, Michael Freimuth, Sönke Tams Freier und Mirko Ludwig, Photo: Heinrich Schütz Musikfest © Robert Jentzsch

Daß einem Glück nur begrenzt widerfährt, wissen wir seit dem 2. September 2004. Denn neben geretteten oder wiederbeschafften Büchern und Noten gingen damals viele Musikalien der Anna-Amalia-Bibliothek, teils ungesichtet und unerforscht (ungeahnt) für immer verloren. Daß man Glück »fassen« kann, erfuhren die Besucher der Dresdner Frauenkirche am Sonnabend in einem einzigartigen Konzert, das nicht nur in der Qualität der Darbietung überzeugte, sondern auch in der Ausgewogenheit und Komposition (»Konzept« klingt in diesem Zusammenhang zu spröde).

Rund um den Altus Christoph Dittmar (Leitung) versammelten sich Margaret Hunter und Joowon Chung (Sopran, letzterer waren wir gerade beim Uraufführungskonzert »Tiefhoffnungsblau« des HSM begegnet), Mirko Ludwig und Benjamin Glaubitz (Tenor) sowie Sönke Tams Freier (Baß). Sie sorgten in Quartettbesetzung für die Madrigale, wobei sie sehr passend von der vielstimmigen Laute Michael Freimuths begleitet wurden, die manchmal an der Melodie teilnahm, manchmal eine ruhige Begleitung vollführte. Hinsichtlich der Anteile mußte Sönke Tams Freier das größte Stehvermögen beweisen, denn er war mit zwei Ausnahmen in alle Madrigale eingebunden, während sich Soprane und Tenöre abwechseln und der Altus aussetzen konnten. Margaret Hunter und Joowon Chung spürten der kreativen und ungezähmten Weise solistisch nach: lyrisch und melancholisch in »Io dal sofferto foco arido ancora« (»Ich war – vom erlittenen Feuer ausgetrocknet …«, Margaret Hunter), Joowon Chung schwang sich mit »O dolc’eterno amore« (»Oh ewig süße Liebe«) in betörend himmlische Höhen!

Tineke Steenbrink, Photo: Heinrich Schütz Musikfest © Robert Jentzsch

In den Texten gab es viel »dolce« (Süße), »tormenti« (Qualen) oder Wortspiele mit »rosa« (Rosen) und »amorosa« (liebend). Gefühle wurden nicht nur empfunden, sondern »gespiegelt« und auf einen anderen bzw. ein Liebesobjekt projiziert. Zwischen schmachtend und leidend bis innbrünstig wurden diese Emotionen voller Ausdruck beschrieben, so daß Heines »Ein Jüngling liebt ein Mädchen« im Vergleich erst recht wie ein lakonischer Kommentar schien.

In kleinen Gruppen waren die Madrigale der variablen Stimmen gewunden. Neben den mehrfach variierten Besetzungen sorgten dazwischen erklingende Werke für Tasteninstrument für zusätzliche Abwechslung. Tineke Steenbrink folgte auf einem wunderschönen Cembalo den Girlanden und Perlenschnüren, die Ercole Pasquini und Luzzasco Luzzaschi in Toccaten, Ruggieri, Canzonen oder Ricercari niedergeschrieben hatten. Auch sie fädelte ein Band der Erzählungen auf, manchmal in freien (ungezähmten) Phantasien (wie Pasquinis Toccata in C), dann wieder in stetig rhythmisch geordneten Schrittfolgen, die an die kunstvollen Hexameter eines Dichters erinnerten.

Margaret Hunter, Christoph Dittmar, Benjamin Glaubitz, Michael Freimuth, Sönke Tams Freier, Mirko Ludwig und Joowon Chung, Photo: Heinrich Schütz Musikfest © Robert Jentzsch

Glück? Unentdeckte Lust, die sich über die Liebe und die Seele auch in sakrale oder biblische Erzählströme erstreckte. Mit den letzten der Madrigali à 4 voci formte Cantus Thuringia ein Sextett, das in der Zugabe, einer Wiederholung des ersten Madrigals, der Laute sogar noch das Cembalo gegenüberstellte. Da klang es doch fast wie am Hof von Ferrara, wo Vittoria Raffaella Aleotti wie Ercole Pasquini und Luzzasco Luzzaschi – in unterschiedlichen Rollen – zu Hause waren.

13. Oktober 2024, Wolfram Quellmalz

CD-Tip: Vittoria Raffaella Aleotti »Ghirlanda de Madrigali«, sowie Werke von Ercole Pasquini und Luzzasco Luzzaschi, mit: Cantus Thuringia, Bernhard Klapprott, Christoph Dittmar, erschienen bei Deutsche Harmonia Mundi

Das nächste Heinrich Schütz Musik findet vom 2. bis 12. Oktober 2025 statt.

http://www.schuetz-musikfest.de/

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