Uraufführung von »Lichtspuren tief im Meer« im Labortheater der HfBK Dresden
Seit 2014 gibt es die Opernprojekte der Lehramtsstudenten an der Dresdner Musikhochschule. Wie bei der Jahresproduktion der HfM im Sommer kooperieren sie mit der Hochschule für Bildende Künste. In einem Punkt ist die Verbindung sogar noch enger, denn die Aufführungen finden im Labortheater der HfBK statt, was bedeutet, daß man sich auf dem Weg durchs Haus bereits Theaterplastiken anschauen kann.
Mit zwei ineinander verwobenen Stücken, Boris Blachers »Die Flut« und Antonio Salieris »Harlekinade« begann vor zehn Jahren das Musiktheaterprojekt, damals noch in den gerade neu bezogenen Räumen im Kraftwerk Mitte. Seitdem kamen Wiederaufführungen (»Dido und Aeneas«), Bearbeitungen (»Alles Prima in Lima«) und Uraufführungen (»Der Froschkönig«) auf die Bühne des Labortheaters.

Maximilian Nicolai war schon drei Produktionen beteiligt (wir haben bereits »Frühlings Erwachen« erlebt), diesmal hatte er die Musik für »Lichtspuren tief im Meer« zu Texten von Clarissa Kanske geschrieben. Für die Bratschistin war es bereits die dritte Regiearbeit, jetzt nahm sie sich gemeinsam mit Maximilian Nicolai die Tiefseewelt vor. Eine fast lebensfeindliche Umgebung, wenig zugänglich – wir wissen über unsere Nachbarplaneten teilweise mehr als über das, was sich tief im Meer vollzieht. Dabei existieren dort jede Menge Geschöpfe – die Forschung geht davon aus, daß nahezu 90 Prozent der Meeresflora- und -fauna in der Tiefsee zu Hause sind. Während wir also kaum etwas von »dort« wissen, haben »die dort« einiges von uns, zum Beispiel den Müll, der sich als tonnenschweres Problem, in die dunklen Abgründe wälzt..
Die Geschöpfe der Tiefseeoper sind so exotisch, daß sie schon wieder menschliche Züge bekommen: eine Yeti-Krabbe (Johanne Wienroth), döst in der Dunkelheit und teilt sich die Zeit in Phasen des Fressens und Phasen des Schlafens sowie der Vorfreuden auf das Fressen – Muscheln sind ja so lecker! Dagegen ist der Erdbeerkalmar (Paula Bastuck) von einer geradezu faustischen Neugierde getrieben, freut sich über Besuch oder die Aussicht, von hier wegzukommen, während der Koboldhai (Timothy Brewer) vollkommen gefühls- und ideenlos durchs Wasser treibt. Ein zugereister, erzählender Pottwal (»Fürchtet Euch nicht«, Elisabeth Schütze) komplettiert das ungleiche Quartett – muß noch gesagt werden, daß es nicht nur ihn, sondern auch Yeti-Krabbe, Erdbeerkalmar und Koboldhai »in echt« gibt?
Noch gibt es sie. Denn ihre Welt ist bedroht (wie die unsere). Das Opernprojekt zeigt nicht nur die Abhängigkeit und wie sich in der Tiefsee die Bedrohung eines U-Bootes spiegelt, bei der Umsetzung wurde in Kostümen und Ausstattung (Studenten der HfBK: Zélie Vue / Bühnenbild, Charlotte Panzner, Zara Stahn und Paul Vogler / Kostüme, Malena Kolbinger, Judith Eckhardt und Leonie Mückley / Maskenbild, Malvine Brinkel, Hanna Kraft, Josefine Jüttner und Schneck Pinther / Theaterplastik) konsequent auf Nachhaltigkeit geachtet – recycelte Materialien, wiederverwendete Kostümteile, Pappfelsen. Oben, also in Richtung Wasseroberfläche, schwimmen bunte Quallen – oder sind es Seeblumen? Weggeworfene Plastetüten?

Das U-Boot landet letztlich nicht bzw. steigt die Besatzung nicht aus. Doch das Boot kommt rumorend näher und bringt neben Müll noch etwas in die Tiefsee: grelles Licht. Darauf reagieren die Tiere ganz unterschiedlich: ängstlich, aufgeschlossen (der Erdbeerkalmar, der erklärt, was »außerirdisch« ist), ignorant (Hai: »Alles Leben ist mir zu viel«), manche sinnieren über ihre Position in der Nahrungskette … Und ist der engelsgleiche Pottwal ein naiver Riese?
Maximilian Nicolais Musik beginnt mit Liegetönen und Schlagwerk – die fremden Welten hätten auch der Weltraum sein können. Für die Akteure hat er jeweils eine eigene Sprache, also Tonalität gefunden, die manche Ähnlichkeit enthält, etwa wenn der Pottwal dem tatsächlichen »Walgesang« gleicht. Vordergründig und charakterbildend sind aber die Texte, die zeigen, wer wie mit der Bedrohung durch das U-Boot umgeht, und gleichzeitig kommentiert. »Da unten ist’s fürchterlich« (Chor) reizt nicht die Angst, sondern zeigt Unterschiede, eine Barriere auf. Gerade im Gesang ist die Musik allerdings näher am Musical als an der Oper.

Die Sängerinnen und Sänger agieren im Chor und als Solisten, sind eine Gruppe Rochen (Tosia Gäbler, Anne-Maria Schmidt und Lars Degenkolb), eine mysteriöse Muschel (Dominic Preusche) schläft und verkündet hin und wieder in Wachphasen Weisheiten in einer Geheimsprache wie ein Orakel. Diese Welt ist nicht nur uns fremd, auch sich selbst – genau das macht sie wiederum kohärent, einzigartig, schützenswert.
Das kleine Orchesterensemble agiert flexibel, stattet die Welt mit Klängen aus, ist meist Hintergrund, sorgt für abgrundlose Tiefe (Baßklarinette), darf aber auch instrumental singen. In die vier Vorstellungen des Wochenendes teilten sich drei Dirigentinnen, wir erlebten die flüssige Vorstellung mit Julia Stoll.
Am Ende zieht das U-Boot ab, scheinbar ohne Hinterlassenschaft. Nahm es etwas mit? Erkenntnis? Erfahrung? Für die Besucher auf jeden Fall den Eindruck eines agilen Projektes. Also Schubkraft fürs elfte Jahr.
3. November 2024, Wolfram Quellmalz
(Keine weiteren Vorstellungen.)