Musik zur Todesstunde

Abschluß der Mendelssohn-Festtage Leipzig

Mit dem traditionellen Konzert zur Todesstunde Felix Mendelssohns endeten am Montag Mendelssohn-Festtage. Die Veranstaltung gehört seit Jahren fest in den Kalender des Mendelssohn-Hauses und dem Gedenken an den Komponisten. Hier, in diesen Räumen der Leipziger Goldschmidtstraße, hat Felix Mendelssohn mit seiner Familie gelebt, hier ist er am Abend des 4. November 1847 verstorben, nur wenige Monate nach seiner Schwester Fanny. Daß nicht nur die Wohnung mit dem historischen Fußboden erhalten blieb, sondern das Haus mit der rekonstruierten Wohnung heute der Öffentlichkeit zugänglich ist und als eines der schönsten Musikmuseen Deutschlands gilt, ist der Initiative derer zu danken, die in den neunziger Jahren den Wert erkannten, den Bestand schützten und aktiv den Anstoß zum (Neu)beginn gaben. Der damalige Gewandhauskapellmeister Kurt Masur war damals eine der wesentlichen Triebfedern, und so freute sich Patrick Schmeing, Direktor des Mendelssohn-Hauses, unter den Konzertbesuchern am Montag auch dessen Frau Tomoko Sakurai begrüßen zu dürfen.

Sebastian Breuninger, Julius Bekesch, Christian Giger und Chaim Steller (von links), Photo: Felix-Mendelssohn-Bartholdy-Stiftung, © Christian Kern

Als Stück zur Todesstunde hatten Sebastian Breuninger und Julius Bekesch (Violinen), Chaim Steller (Viola) sowie Christian Giger (Violoncello), alle Musiker des Gewandhausorchesters, Mendelssohns Streichquartett f-Moll (MWV R 37) ausgewählt. Es ist nicht sein einziges Quartett in Moll, aber vielleicht das dramatischste – kein Vergleich zum e-Moll-Werk, ohnehin eine von Felix‘ jubelndsten Tonarten. Gleichzeitig ist es eine von Mendelssohns letzten Kompositionen überhaupt – nach dem Tod der Schwester entstanden und das letzte vollendete Werk.

Im Mendelssohn-Haus schien die dunkle Erregung fast greifbar, die sich im ersten Satz Allegro – noch ganz vivace – ausbreitete. Doch nicht nur Dunkelheit oder gar ein Hilfeschrei wohnte dem Quartett inne – in den oberen Sphären vermittelte es eine freie Höhe, die jedoch bald wieder bedroht war. Das zweite Allegro, immer noch assai (»ziemlich«), aber ohne vivace-Zusatz, war ganz Herzschlag, dramatisch aber noch in der Schwebung, die sich im Gleichklang von Viola und Violoncello einstellte.

Es war schon schwer, wenn nicht unmöglich, bei diesem Stück und zu dieser Stunde nicht an den Konzertanlaß zu denken und ihn nicht im Werk wiederzufinden. War es eine Ahnung, daß Felix Mendelssohn diesen Gestus so erfaßt, Wärme und Tragik derart verbunden hatte? Mit dem Argumentieren des letzten Satzes blieb ein Gefühl des Verlusts und der Verzweiflung sowie der Gedanke, was der Komponist noch hätte schreiben können …

Elena Bashkirova und Martina Gedeck, Photo: Felix-Mendelssohn-Bartholdy-Stiftung, © Christian Kern

Um ein ganz anderes Ende ging es im zweiten Teil, den Martina Gedeck als Sprecherin und Pianistin Elena Bashkirova mit Richard Strauss‘ »Enoch Arden« (Opus 38, TrV. 181, nach Alfred Lord Tennysons Ballade) gestalteten. Der Titelheld begibt sich, um Not seiner Familie zu vermeiden, auf Schiffsreise, endet jedoch im Unglück. Als einziger Überlebender und auf einer einsamen Insel lange nicht entdeckt, kehrt er Jahre später zurück, wird, da tot geglaubt und verändert, nicht mehr erkannt. Seine Frau ist mit seinem besten Freund verheiratet, sie haben zusammen ein Kind, die Kinder Enochs sind fast erwachsen, ihm fremd … (Man vergleiche dies traurige Ende mit der völlig gegenläufigen Geschichte der »Schönen Magelone«!).

Aufmerksame Begleiterin: Elena Bashkirova, Photo: Felix-Mendelssohn-Bartholdy-Stiftung, © Christian Kern

Richard Strauss hat den umfangreichen Text eher sparsam mit Musik ausgestattet. Viele Passagen werden ohne Begleitung gelesen, andere sanft umrahmt, dann aber entfacht das Klavier ein Drama – dafür brauchte die Sprecherin verständlicherweise ein Mikrophon.

Gerade mit ihrem klaren Vortrag zeichnete Martina Gedeck die Dramatik heraus, lud sie nicht zusätzlich auf oder überstrapaziert sie. Mit ruhiger Stimme, leicht schleppend, kleine Pausen setzend, begann die Erzählerin, und baute gerade so Spannung auf. Texte und Musik waren eng, ja vorsichtig, schicksalhaft miteinander verwoben. Musikalisch und literarisch ein Genuß!

5. November 2024, Wolfram Quellmalz

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