Zwei Spitzenmusiker – zwei Welten

Sol Gabetta und Bertrand Chamayou bei den Mendelssohn-Tagen in Leipzig

Vor dem Abschluß am Montag der diesjährigen Mendelssohn-Festtage Leipzig gab es am Wochenende noch einmal eine ganze Reihe Konzerte. Viele davon fanden im Gewandhaus zu Leipzig statt, welches für die Festtage mit dem Mendelssohnhaus kooperiert. Am Sonntagabend waren mit Sol Gabetta und Bertrand Chamayou zwei Musiker, die zur Weltspitze zählen, im kleinen Saal zu Gast, der nach dem Komponisten benannt wurde.

Mendelssohn, Cello und Klavier sind noch kein Grund, nur Felix‘ Sonaten für Violoncello und Klavier zu erwarten. Sol Gabetta und Bertrand Chamayou hatten gerade eine im Gepäck, darüber hinaus aber auch Brahms sowie zwei unserer Zeitgenossen: den in diesem Jahr verstorbenen Wolfgang Rihm sowie Jörg Widmann, ein Schüler des ersteren, der in Leipzig zudem seit seiner Residenz beim Gewandhausorchester (2017 / 18) näher bekannt ist.

Den Rahmen gab dennoch Felix Mendelssohn. Zu Beginn hatten Sol Gabetta und Bertrand Chamayou die Variations concertantes für Violoncello und Klavier D-Dur (MWV Q 19) ausgewählt und damit den Kanon immerhin über die oft gespielten Sonaten hinaus gedehnt. Sofort stellte sich ein positiver Wohlfühleffekt ein, denn beide Künstler vermochten einen Klang zu gestalten, samten vom Klavier, dazu ein Violoncello mit Legato – traumhaft! Bertrand Chamayou ließ perlend aber bereits das Perkussive erahnen.

Von links: Felix Mendelssohn (Gemälde seines Schwagers Wilhelm Hensel, 1847, Ölfarbe auf Leinwand, Stadtmuseum Düsseldorf, Bildquelle: Wikimedia commons), Wolfgang Rihm (Photo: Universal Edition), sein Schüler Jörg  Widmann (Photo: © Marco Borggreve), Johannes Brahms (Talbotypie, ca. 1853 / 55 [Datierung unterschiedlich], Robert-Schumann-Haus Zwickau, Bildquelle: Wikimedia commons)

Als Entdeckungen durfte man die Lieder ohne Worte von Wolfgang Rihm und (später) Jörg Widmann erfahren. Beide haben sich auf Mendelssohns Gattung bezogen, Widmann vielleicht noch stärker, zumindest im Aufgreifen und Verfremden von Motiven. Gemein ist ihnen die freizügige, großzügige Art, der Humor, die Hingabe, dennoch verfügen beide über einen Personalstil. Ein Nachahmer von Rihm oder Mendelssohn ist Widmann sowieso nicht. Bei Rihm werden die Worte quasi in Silben zerlegt und teilweise gedehnt, der Verbund von Cello und Klavier wird weiter, manchmal stehen sie allein, verzerren »Silben« in angedeuteten Glissandi. Daß Wolfgang Rihm einst ein Cellokonzert für Sol Gabetta schrieb und »Verschwundene Worte«, das man auch als verklungene Musik verstehen kann, eines seiner letzten Werke war, berührt an diesem Abend um so mehr.

Jörg Widmann ging in seinem Lied ohne Worte mit Mendelssohn noch freier um, näherte ihn an Jazz und jüdische Musik an, Sol Gabetta ließ die Stimme ihres Instruments mit Vibrato aufbeben – davon hätte man sich manchmal mehr gewünscht.

Denn aller Klangform und -schönheit zum Trotz fiel auf, daß sich Sol Gabetta und Bertrand Chamayou ungleich gegenüberstanden. Dabei begeisterte der Pianist mit seinem Gestaltungssinn und seiner nicht überbordenden, aber emphatischen Emotionalität deutlich mehr – wollte er die Kollegin herausfordern?

An Gestaltungssinn war ihm Sol Gabetta ebenbürtig, auch ist das Violoncello natürlich in seinen dynamischen Möglichkeiten begrenzt, dennoch entstand hier und da der Eindruck, mit (noch) mehr Herz und ungebremsterem Bogenstrich wäre mehr möglich gewesen.

Wie bei Johannes Brahms, dessen zweite Violoncellosonate mit einem Ausbruch jubelnder Worte begann, als wäre er Mendelssohns »dunkle Seite«, Bertrand Chamayou ließ über dem bestätigen Strom helle Spitzen gischten. In der Erregung blieb Sol Gabetta (scheinbar) etwas zurück, spendierte aber noble Farben und begeisterte in den zurückgenommenen Passagen, wie dem tiefen Baß, mit dem das Cello die Sonate stabilisiert. Lieblich und wie ein Lied klang Brahms aus.

Bei Mendelssohns zweiter Violoncellosonate wurde die »Differenz« der beiden Künstler noch offenbarer. Schön im Klang, nun wie Brahms‘ »helle Seite«, aber auch manchmal trocken und ohne Nachhall, fiel das Stück ein wenig nüchtern aus. Fehlte da »Herz« oder einfach nur Gemeinsamkeit? Dem »hübschen« Stück von Mendelssohn fehlte zumindest ein wenig Spannung. Vorweisbare Qualitäten hatten beide dennoch genug. Klanggestaltung ist zum Beispiel elementar, wenn es um Gesang geht. Mit dem Lied ohne Worte Opus 109, Mendelssohns einzigem Gattungsbeitrag für (original) diese beiden Instrumente, fanden Sol Gabetta und Bertrand Chamayou ein angemessenes Schlußwort als Zugabe.

4. November 2024, Wolfram Quellmalz

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