Krähen und Tauben

Michael William Balfes »Satanella« als deutsche Erstaufführung in Annaberg

Eigentlich wurde es Zeit: Die Erzgebirgische Philharmonie Aue erleben wir seit vielen Jahren in der Dresdner Musikhochschule, denn das letzte Sinfoniekonzert im Kalender findet als Kooperation der beiden Institutionen und mit Absolventen (Solisten und Dirigenten) jeweils in Aue, Annaberg und Dresden statt. Doch die Erzgebirgische Philharmonie Aue bespielt als Opernorchester auch das Eduard-von-Winterstein-Theater Annaberg Buchholz. Gestern waren wir endlich einmal dort, um die deutsche Erstaufführung von »Satanella oder Die Macht der Liebe« zu erleben.

Vor dem Werk lohnt es, an den heute nahezu vergessenen Komponisten Michael William Balfe zu erinnern: Achtzehnhundertacht in Dublin in eine Musikerfamilie geboren, kam er schon mit fünfzehn Jahren nach London, lernte Violine und Gesang. Vor allem als Tenor war er sehr erfolgreich, sang an der Mailänder Scala ebenso wie in Paris, wo er Gioachino Rossini kennenlernte. Schon früh feierte er aber auch als Komponist Erfolge, vor allem in Frankreich und England, wo seine Werke in London besonderes Aufsehen erregten. Nach Deutschland drang Michael William Balfes Name bislang kaum vor, am ehesten ist eines seiner Werke bekannt, die Grand Opéra »The bohemian girl« (deutscher Titel: »Die Zigeunerin«). Diese gelangte noch auf anderem Wege auf deutsche Bühnen – jene der Lichtspieltheater, denn Lauren und Hardy hatten eine freie Fassung davon als Film herausgebracht (deutsch: »Das Mädel aus dem Böhmerwald« / »Dick und Doof werden Papa«, er lief – wie der Zufall so spielt – gestern zeitgleich mit der »Satanella«-Vorstellung im Dritten Programm).

Michael William Balfe, Lithographie von Lowes Cato Dickinson (1840) nach einer Portrait von Frederick Tatham, Bibliothèque nationale de France, Département Musique, Bildquelle: Wikimedia commons

»Satanella«, im Original auch »The devil’s a woman« (Der Teufel ist eine Frau) basiert auf der phantastischen Novelle »Le Diable amoureux« (Der verliebte Teufel) von Jacques Cazotte. Der französische Autor hatte sich in Genres wie Märchen und Gedichten betätigt, dabei einen Hang zu spektakulären Sujets gezeigt, eigentlich eine Mischung, die dem heutigen Publikumsgeschmack von Fantasy, Science-Fiction und Horror entspricht.

DAS STÜCK

Als Stück im Stück ist »Satanella« mit einem Rahmen versehen, der sich jedoch mit dem Inhalt verbindet, denn Carl, der seine Braut ermordet hat und von Visionen geplagt wird, erzählt seinen Traum bzw. Wahn einem Dritten, Pater Braccacio, offenbar so authentisch, daß sich die Wand, die Realität und Alp trennt, aufzulösen scheint. So wie aus Carl sein Alter Ego Graf Rupert wird, scheinen die beschriebenen Figuren auch dem Pater mehr und mehr real, bedrohlich:

Graf Rupert will sein Leben ändern, seine Pflegeschwester Lelia heiraten, die ihn verehrt, doch zunächst muß er seine Spielschulden – eine Folge des ausschweifenden Lebensstils, den er ablegen will – bezahlen. Die Hexe Arimanes soll ihm helfen, weshalb Rupert einen Pakt mit ihr schließt. Satanella, eine Gehilfin Arimanes, ist allerdings ebenso in Rupert verliebt. Sie spielt mit ihm und sucht, die Hochzeit zu verhindern.

Letztlich ist Satanellas Liebe größer (oder edler) – sie will dem Paar Rupert und Lelia helfen, damit es aus Arimanes Fängen befreit wird und heiraten kann. Indes haben den Wahnerzähler Carl bereits seine eigenen Dämonen besiegt.

DIE MUSIK

Michael William Balfe erweist sich als überraschend genialer und erfindungsreicher Komponist – worin Vor- und Nachteil gleichermaßen liegen. Mit einer Mischung aus Sprech- und Gesangsrollen bzw. -texten knüpft er an die englische Operntradition ebenso an wie mit dem Vorspiel oder der Ouvertüre im Stil einer Funeral music, die gleichzeitig eine inhaltliche »Richtung« festgelegt (der düstere Verlauf und Carls tragisches Ende bestätigen dies schließlich). Die vier Akte sind jedoch überwiegend vollgepackt mit meist italienischer Musik im schönsten Belcanto-Stil, französische Anleihen gibt es ebenso. Es scheint, als hätte Balfe direkt bei Verdi und Donizetti angeschlossen, so daß nicht nur die Musik eingängig ist, sondern sich Übergänge, auch beim ersten Hören, problemlos ergeben. Vielleicht lag aber gerade darin, im großen Talent Balfes zur Nachahmung und Anpassung, ein Nachteil: einen typischen, ureigenen Personalstil entwickelte er nicht – hat dies beigetragen, daß sich Balfes Werke trotz den damaligen großen Erfolgs nicht nachhaltig etablieren konnten?

DIE INSZENIERUNG

Christian von Götz (Inszenierung und Ausstattung) hat den märchenhaften Stoff mit Witz auf die Bühne gebracht. Zwar gibt es immer wieder bedrohliche, düstere Bilder, ein wenig (sehr) viel Symbolik, doch das Feingefühl, hier ein unbekanntes Werk dem Publikum zugänglich näherzubringen, überwog. »Satanella« darf und kann deshalb auch unterhalten, bis hin zu einem Brautkostüm, das den schönsten Madonnenkitsch zeigt. Überzeugend fielen die Figuren aus, die ausnahmslos charakteristisch gezeichnet sind, teilweise fremde Stimmen haben, wie Rupert, der auf der Bühne hingebungsvoll von Martha Tham gespielt wurde, während ihm Martin Mairinger von der Seite eine eindeutig männliche Stimme verlieh. Das Prinzip der Doubles sollte sich im Verlauf noch als wichtig erweisen, denn jeder hat hier sein Gegenüber, nicht nur die mehrfach projizierten Tauben (Unschuld und Frieden) und Krähen (teuflische Klugheit).

Mit- oder gegeneinander? Arimanes (Verena Hierholzer) und Satanella (Sarah Chae), Foto: ETO, © Dirk Rückschloß / Pixore Photography

Ein Problem ist dennoch die Vielzahl der Haupt- und Nebenfiguren und deren Vermengung auf der Bühne. Wer unvorbereitet versucht, die im Programmheft beschriebene Handlung wiederzufinden, tut sich eventuell schwer. Daher sei bei künftigen Besuchen die Einführung in jedem Fall empfohlen.

Es lohnt, die Zeichen zu entschlüsseln. Die Texte sind dabei kein Problem, denn gesprochen wird deutsch, gesungen in sehr gut verständlichem englisch, Übertitel gibt es dazu. Die Erzählungen von Wahn und Trauma sind mitunter Erkenntnisreich und werden aufgeschrieben – mit Kreide an der Wand. »Is all that we see or seem but a dream within a dream?« (Ist alles, was wir sehen oder was uns scheint, nur ein Traum im Traum?) Solche Doppeldeutigkeiten erschweren trotzdem manchmal, den »Punkt« zu erkennen, an dem die Handlung gerade steht.

Satanismus und Exorzismus: Pater Braccacio (Jakob Hoffmann), Lelia (Maria Rüssel), Rupert (Martha Tham), Opernchor, Foto: ETO, © Dirk Rückschloß / Pixore Photography

DIE AUFFÜHRUNG

Die Erzgebirgische Philharmonie Aue (Dirigat an diesem Abend: Dieter Klug) brachte »Satanella« nicht nur quicklebendig auf die Bühne, sondern mit Witz und Charme. Jede Wendung und Wandlung war farbenreich ausgemalt, die Solisten (vor allem Bläser) überzeugten nicht nur spieltechnisch, die Klarinette schweifte (sicher frei) auch einmal deutlich ab, zu Beethovens »Pastorale«, womit die Doppeldeutigkeiten (auf der Bühne gibt es durchaus kein pastorales Idyll) noch unterstrichen wurden. Ebenso zeigte sich der Chor – trotz herbstbedingter Infektausfälle – sehr vital!

Hoffnungsloses Triumvirat: Rupert (Martha Tham), Carl (Richard Glöckner), Pater Braccacio (Jakob Hoffmann), Foto: ETO, © Dirk Rückschloß / Pixore Photography

Die Solisten steigerten diesen Eindruck sogar noch durch ihr Spiel und das Verständnis, gesprochenes und gesungenes Wort zusammen wirken zu lassen. Um so mehr, da für die Rolle des Hortensius            extrem kurzfristig ein Ersatz gefunden werden mußte. László Varga mimte ihn zwar auf der Bühne, die Stimme lieh ihm aber Hernan Atilio Vuga – ein Glücksfall, schließlich ist »Satanella« bisher kein Repertoirestück, die Rolle hat nicht jeder »drauf«.

Fast schon undankbar war die Aufgabe Richard Glöckner, denn für die Hauptperson Carl gibt es viel gesprochenen, aber kaum gesungenen Text. Der Tenor gehört zu den ersten Kräften am Haus, fand sich in der gesanglich »zurückgesetzten« Rolle dennoch zurecht und nutzte die Gelegenheit, noch eine Facette in Balfes Oper fein zu polieren: englischen Liedgesang!

Vergebliche Hilfe: Carl (Richard Glöckner) und Pater Braccacio (Jakob Hoffmann), Foto: ETO, © Sebastian Paul / Medienproduktion 16zu9

Überragend war Sarah Chae als Satanella, die mit dramatischem Sopran Leidenschaft und Überlegung (oder Moral?) in der Schwebe hielt und die Figur eine Entwicklung glaubhaft vollziehen ließ. Jakob Hoffmann unterlief als Pater Braccacio ebenfalls eine solche, jedoch führte sie ihn nicht auf Höhen – der Pater, so standhaft und überzeugt er war, war ob der Abgründe nicht mehr standfest genug – half ihm die Selbstkasteiung? Gleich mehrfach verblüfften die Spielpaare, denn auch Verena Hierholzer hatte als Arimanes eine (geplante) Seitenstimme: Wenzheng Tong. Kraft, ob nun Durchhaltevermögen, Willenskraft zur Befreiung oder um etwas zu ändern, brauchten manche der Figuren auf der Bühne. Lelia (Maria Rüssel) gehörte sicher dazu.

18. November 2024, Wolfram Quellmalz

Michael William Balfes »Satanella«, Eduard-von-Winterstein-Theater Annaberg Buchholz, in dieser Spielzeit noch einmal am 30. November und 20. Dezember

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