Spritzig!

Finn Job »Damenschach«

Was bitte ist »Damenschach«? Eine indonesische Variante des Brettspiels, wie wir es kennen, bei dem aber die Dame den höchsten Wert hat? Oder gibt es – wie im Frauenfußball – Schach auch als Sportart nur für Frauen? Wobei das noch nicht die »Damen« erklären würde. Vielleicht müssen Damen beim Schach Seidenhandschuhe, Crêpekleider und den Familienschmuck tragen?

Tatsächlich handelt es sich um das zweitere – eine reine Damenrunde. Marie-Louise ist für den nächsten Tag zum »Damenschach« verabredet. Doch bevor sie sich morgen (vielleicht) auf den Weg macht, feiert Marie-Louise heute noch Geburtstag. Es ist ihr fünfzigster und sie beginnt ihn mit einer Flasche Champagner.

So weit, so gut, aber alles wird immer schlimmer, findet zumindest Marie-Louise: »Alles wurde schlimmer, als die Frauen keine Männer mehr sein wollten. Alles wurde schlimmer, als niemand mehr bereit war, Verantwortung zu übernehmen, da unversehens alle verantwortlich waren«. Der Geburtstag beginnt bereits grau, langsam scheint sich der Himmel auf das Haus zu legen, Nebel und Schneeflocken beginnen, »die Burg«, wie das Haus genannt wird, von der Außenwelt zu trennen. Doch eine Außenwelt braucht Marie-Louise gar nicht mehr, denn sie bekommt ja Besuch.

Einen Verehrer (oder war es nur ein One-Night-Stand?) läßt sie kalt an der Sprechanlage abblitzen, David jedoch, ein Psychiater und alter Freund, ist willkommen, auch wenn niemand weiß, ob er etwas von Marie-Louise will oder sie von ihm und wenn ja, ob das gut wäre. David erscheint pünktlich und wie erwartet mit Chrysanthemen und einer frischen Flasche Champagner. Wie gut, daß Ivana, die belesene Haushälterin, zuvor noch ein Frühstück bereitet hatte. Wenigstens Palatschinken mit Marillenmarmelade – als sie später losfährt, aber keinen Hummer fürs Geburtstagsessen bekommt, läßt sie das Kochen (bis auf eine Omelette) sein. Es wird sowieso mehr getrunken, Champagner, später Grappa, bevor eine neue Flasche Champagner geöffnet wird, für zwischendurch weiß Ivana, wo der Sliwowitz steht …

Und dann erscheint Marie-Claire. Zwischen ihr und Marie-Louise gab es schon immer Spannungen, weshalb sich die beiden Zwillingsschwestern seit sechs Jahren nicht mehr gesehen haben – eine lange Zeit! In sechs Jahren kann viel passieren – zum Beispiel kann jemand sein Geschlecht ändern, so wie Marie-Claire, die seit zwei Jahren Marius heißt. Der erfolgreiche Galerist erscheint mit seiner jungen Geliebten Olivia, Engländerin, Kulturhistorikerin und Cineastin.

Belesen und gebildet sind sie alle, selbst Ivana weiß, ob und warum Alpenkrähen hier selten sind, welche Figur der Commedia dell’arte welchem Besucher entspricht, Filme, Reportagen und Bücher scheint sie zu verschlingen. Und ist sie nicht weit besser in Lebenserfahrung und Psychologie als Dr. David Hofer?

»Damenschach« hält, was die Figurenkonstellation verspricht. Es spielt mit den Geschlechtern, reizt mit Bildungsbürgerwissen und bindet Familienanalysen ein. Finn Job beherrscht die Kunst, die Spannung zu halten, ohne daß es zur Explosion kommt. Dafür nutzt er gekonnt die Ebenen der Erzählung: Wenn der Streit auf dem Höhepunkt ist, kommentiert der Autor lakonisch: »Marie-Louise findet keinen Dreck unter ihren Nägeln« (die Hausherrin hat sich während des Disputs mit dem Sabriersäbel die Nagelränder gereinigt).

Kein Zweifel: das Buch amüsiert! Auf königlichem Niveau oder zumindest in einer dem Damenschach angemessenen Weise. Einziger Nachteil: Wer es so rasant liest (und an zwei, drei Abenden »durch« ist), fühlt sich ein wenig erschöpft und übernächtigt, so wie Marie-Louise und ihre Gäste, die vierundzwanzig Stunden nicht schlafen, (zu) viel Champagner trinken und zwischendurch nur einmal Pizza bestellen …

November 2024, Wolfram Quellmalz

Finn Job »Damenschach«, Roman, Verlag Klaus Wagenbach, fester Einband, Schutzumschlag, 176 Seiten, 22,- €, auch als e-Book (17,99 €)

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