Licht und Feuer

Uraufführung von Lux Aeterna von Neithard Bethke in Bad Cannstatt

Der Titel bzw. Name Lux Aeterna allein verleiht einem Werk bereits eine höhere Dimension. Wenn es dann noch das Opus 100 eines 1942 geborenen Komponisten ist, liegt die Frage nahe, ob er darin sein Opus magnum formuliert. Im Falle von Neithard Bethke läßt sich das gleichermaßen bejahen wie verneinen – natürlich hat er (vermutlich) all seine Lebenserfahrung, Energie, Liebe und wesentliche Gedanken in diese über längere Zeit entstandene Komposition gelegt, das Oratorium enthält durchaus – Neithard Bethkes Werkeinführung am Sonntag in der Stadtkirche – Lutherkirche Stuttgart-Bad Cannstatt zeigte dies – keinen kleinen Teil an Lebensrückblick. Dennoch trägt Lux Aeterna nicht die »Bürde der Jahre«, sondern schöpft aus dem Moment, dem Wort, und wendet sich im Heute und Jetzt an den Zuhörer. Daß es angekommen ist, zeigten die Publikumsreaktionen am Sonntag, als der Bachchor Stuttgart das Werk gemeinsam mit der Thüringen Philharmonie Gotha-Eisenach unter der Leitung von Jörg-Hannes Hahn im Rahmen der Reihe Musik am 13. aus der Taufe hob.

Uraufführung von Lux Aeterna (Neithard Bethke) am 24. November in der Stadt- und  Lutherkirche Bad Cannstatt, Photo: Musik am 13.

Dabei ist Lux Aeterna durchaus anspruchsvoll, ja, beanspruchend, für Sänger, Spieler und Publikum gleichermaßen. Schon deshalb, weil es weniger Verlauf hat als im Moment – dem des Lichtes – verharrt. Dabei ist es weniger kontemplativ als kraftvoll – das strahlende Licht ist bei Neithard Bethke Bezugs- und Ausgangspunkt. In seiner teils anekdotisch angereicherten Werkeinführung hatte der Komponist darauf verwiesen, daß er das »Licht« mit dem »Feuer« gleichsetzt, jenem Feuer, das als göttlicher Funke in jedem von uns brennt. Dieses Feuer hat er seinem Werk leib- und lebhaftig eingepflanzt – Lux Aeterna ist ein Chorsinfonisches Oratorium, das in seiner lichten Blüte, Farbigkeit, Intensität und eben dem Feuer manchmal an jene Farbigkeit großbesetzter Werke von Strawinsky, Rachmaninow oder Hartmann erinnert. In seiner Tonsprache ist Bethke jedoch moderner.

In zehn Teilen oder Sätzen wendet sich Lux Aeterna immer wieder dem Lux zu. Am Anfang und am Ende mit Texten, die sich liturgisch auf das ewige Licht beziehen, dazwischen mit Hymnen und Bibelworten, wobei die Texte bis in erste Jahrhundert (Kirchenvater Ambrosius von Mailand) zurückreichen. Der Reformator Johannes Zwick kommt ebenso zu Wort wie die Pfarrsfrau Marie Schmalenbach oder Mystiker wie Angelus Silesius alias Johann Scheffler. Erneut gehört auch Jacob Böhme zu den Autoren – ihm hatte sich der heute in Görlitz lebende Komponist unter anderem in »Colloquium viatorum« genähert(UA 2021 beim Festival dreyfach leben in Görlitz / Świdnica).

Solistenquartett: Florian Spiess, Alexander Kaimbacher, Iduunu Münch und Natalie Karl, Photo: Musik am 13.

Das Licht bzw. Feuer entfacht Neithard Bethke im ersten Lux-Aeterna-Teil mit Schlagwerken, Vibraphon und tremolierenden Streichern. Über die Farbigkeit hinaus enthält das Werk eine dezidiert rhythmische Struktur, einen Puls bzw. Herzschlag. Die Solisten blieben, oft mit fugierten Einsätzen, sich wiederholenden oder kreuzenden Textzeilen, im Quartettverbund, was angesichts so herrlicher Stimmen wie von Altistin Iduunu Münch oder Tenor Alexander Kaimbacher fast zu bedauern war (es ist eben kein Handlungsoratorium mit verteilten Rollen). Auch Baß Florian Spiess sorgte für Konturiertheit im Quartett, das von Natalie Karl vervollständigt wurde. Die Sopranistin hatte sich zuvor als indisponiert ansagen lassen, ihren Part aber trotzdem übernommen. Zu spüren war ein Defizit auch bei ihr nicht. Dabei verlangte das meist sehr präsente, dynamische Werk mit reicher Chor- und Orchesterbesetzung von den Solisten ganzen Einsatz. Die offenbare Mühelosigkeit überraschte dennoch bzw. gerade angesichts der dynamischen und gestalterischen Ansprüche.

Gerade im Mittelteil mit seinen sehr expressiven, im Ausdruck beanspruchenden Passagen, einer ungeheuren Verve und nicht zuletzt einer nicht eben simplen Struktur verlangt der Komponist vieles (oder setzt es voraus) – zumindest einen mitdenkenden, wissenden Zuhörer. Die eingewobenen Choräle sorgten weniger für Entspannung, als daß sie der Orientierung dienten, das Publikum »abholten« bei dem, was zur musikalischen Erfahrung gehört. Instrumentale Einschübe bzw. orchestrale Überleitungen sorgten für Übergänge zwischen Versteilen und Sätzen.

Mit fast spätromantisch pastoraler Verlangsamung legte sich der vierte Teil (»Ich bin zu der plötzlichen Einsicht gekommen, daß es eine ständige Spaltung zwischen Licht und Finsternis, Gut und Böse, Gott und Sünde gibt […]«, Jacob Böhme) nach anfangs trillernder Flöte auf die Zuhörer (wie ein Licht oder die Erkenntnis, die einen überkommt), um sich sogleich mit neuem Lebensschwung aufzuwerfen. Klang und Farbe lag dabei noch im Schlagwerk, das zum folgenden Teil (»Jesus spricht: ›Ich bin das Licht der Welt‹«) bedächtig überleitete. Umgekehrt waren die Streicher nicht minder an Prägnanz und rhythmischer Struktur beteiligt. Die Bibelworte des achten Teils wiederum (»Lebt als Kinder des Lichts«) wurden von der Cellogruppe besonders reich ausgemalt. Hyelin Lee begleitete an der großen Walcker-Orgel nicht nur die Choräle, sondern unterstrich viele der Orchesterfarben.

Bachchor Stuttgart, Solisten, Thüringen Philharmonie Gotha-Eisenach, Jörg-Hannes Hahn, Photo: Musik am 13.

Die Solisten konnten sich in einer sehr leidenschaftlichen Art entfalten, worin sie zum Gegenüber bzw. zur Entsprechung des Bachchores Stuttgart wurden, der ebenso zwischen wiewohl schlichter, aber reicher Gestaltung (Choräle) und intensiven Ausbrüchen zu wandeln vermochte. Dieser Wechsel gelang ihm ebenso leicht wie er noch über die Gesamtdistance keine konditionellen Probleme offenbarte, sprich: es klang nicht angestrengt.

Jörg-Hannes Hahn bewahrte in der Dichte und Vielfalt für einen chromatischen Fluß, arbeitete Strukturen wie Fugen heraus und bewahrte dabei den rhythmischen Puls. So überwogen die mitreißenden Eigenschaften von Lux Aeterna. Die Naturwissenschaft versteht das Licht als die Gesamtheit aller Spektralfarben – hier waren sie musikalisch enthalten. Nicht nur Jörg-Hannes Hahn sagte nach der Uraufführung, daß er überzeugt sei von dem Stück. Der Austausch zwischen Chor und Orchester und vor allem dem Publikum, aus dem noch manche Besucher für einen Moment blieben, sprach ebenso dafür.

25. November 2024, Wolfram Quellmalz

Die Reihe Musik am 13. geht regulär am 13. Dezember mit einem »Singen zum Advent« weiter (20:00 Uhr, Stadtkirche Bad Cannstatt).

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