»Eine Weihnachtsgeschichte« im Staatsschauspiel Dresden
Gastspiele versprechen in der Regel etwas Besonderes, schließlich gehen nur besondere oder preisgekrönte Produktionen auf Reisen. Oder es kommen bekannte Schauspieler. Samuel Finzi ist vielen Besuchern aus verschiedenen Krimiserien bekannt (unter anderem »Tatort«), Herbert Knaup als Kommissar Kluftiger – gestern waren sie in ihrem ureigensten Metier, dem Theater, mit Charles Dickens »A Christmas Carol« in Dresden zu Gast. Ein Klassiker – geht immer? Eigentlich schon. Allerdings heißt das auch, daß es oft Vergleichsmöglichkeiten gibt.
Viele Dresdner vermissen zum Beispiel die hauseigene Produktion von »A Christmas Carol« im Palais im Großen Garten, die – Jahr für Jahr verlängert – mit dem Pandemieeinschnitt leider vom Spielplan verschwand (das Palais im Großen Garten gehört zu den Schlössern, Burgen und Gärten Sachsens und ist kein regulär verfügbarer Spielort des Staatsschauspiels).

Doch an dieser beliebten Fassung darf man das Gastspiel gestern eben nicht messen. Anders als im Theaterstück mit Kostümen, Kulissen und vielen Rollen erzählten Samuel Finzi und Herbert Knaup gemeinsam viele Textpassagen, teilten sich nicht nur Dialoge, sondern Rückblicke und Erklärungen und bewiesen vor allem Spontanität, nicht nur bei Lachanfällen oder als Samuel Finzi einmal das Blättern vergessen (wirklich?) hatte und mit der falschen Textzeile ansetzte. Kein Problem! Schnell an die richtige Stelle gesprungen, hatten die beiden Schauspieler viel Sinn für das Gemeinsame Spiel und das Kooperieren, auch Selbstironie, als Samuel Finzi als Geist die Bühne verließ und sich – die Textanweisung hörend, er ginge dabei rückwärts – flugs umdrehte.
Daß die beiden Schauspieler im Mittelpunkt standen, gehörte zur Erwartung wohl aller. Und diese erfüllten sie – die beiden Lesepulte wurden Aktionsräume, an denen und um die geredet, gestikuliert, gerufen und gewedelt wurde – auch Bob Cratchits Schal, wiewohl gar nicht im Kostüm vorhanden, wurde quasi sichtbar. Die Rollen waren gut verteilt: Samuel Finzi war Bob Cratchit plus Geist, Herbert Knaup Ebenezer Scrooge und Erzähler – in kleinere Dialoge oder Nebenrollen teilten sich beide. Theaterfreundin Katja fand besonders Samuel Finzis schauspielerische Einlagen sehenswert und Herbert Knaup als Scrooge überzeugend.
Ganz allein waren die beiden auch gar nicht auf der Bühne, sondern wurden einem Streicherquintett mit Engelsflügeln auf farbig beleuchteten Podesten begleitet – etwas Showeffekt für das Fernsehpublikum gab es also doch (?). Das Quintett sorgte für jazzig-stimmungsvolle Klänge und aufregende Spannungsmomente (Musik / Komposition / Arrangement: Libor Síma). Nur daß das eigentliche Weihnachtsrepertoire einzig auf »We wish you a mery Christmas« reduziert blieb, schien dürftig. Immerhin: das heute vielen eher amerikanisiert scheinende Lied hat seinen Ursprung tatsächlich in Südengland (16. Jahrhundert).
Auch beim Text mögen sich manche Theaterfreunde oder Dickens-Liebhaber gewundert haben, wich er doch – neben Kürzungen – in der Wortwahl, nicht jedoch in der Handlung, teils stark vom Original ab. Daß der zweite Weihnachtsgeist rüde nach Ebenezer Scrooge herbeipfeift, hätte es nach Dickens wohl nicht gegeben! Insofern fehlt es der durchkomponierten Fassung von Martin Mühleis (Textbearbeitung, Regie, Produktion, Kostüme und Bühne) etwas an Authentizität oder Tiefe. Doch wie eingangs gesagt: die Erwartungshaltung sollte eben nicht vom traditionellen Theaterstück ausgehen.
Der Gewinn lag gerade darin, eine etwas knappere (mit Pause weniger als zwei Stunden) Version für die ganze Familie aufgeführt zu haben. Beim Blick ins Publikum bzw. hören auf Pausengespräche oder auf dem Nachhauseweg zeigte sich, daß viele Besucher den Weg ins Theater gefunden haben, die sonst seltener hier sind, Samuel Finzi und Herbert Knaup aber aus dem Fernsehen kennen. Insofern also: Mission erfüllt!

Wer es klassischer mag, greife doch zum Buch (die Insel-Ausgabe ist nach wie vor mit den für die Originalausgabe angefertigten Stichen von John Leech versehen). Oder er besuche die Kulturwirtschaft im Kraftwerk Mitte. Am kommenden Sonntag (15:00 und 19:00 Uhr) sowie am 16. Dezember (19 Uhr) und noch einmal am 22. Dezember (15 Uhr) gibt es dort, abgeleitet aus der Produktion des Staatsschauspiels, »A Christmas Carol« als szenische Lesung (Regie: Holk Freytag) mit Lars Jung (Ebenezer Scrooge) und Günther Kunze (Bob Cratchit). Können wir unbedingt empfehlen (https://neuemusikalischeblaetter.com/2023/12/04/kulturwirtschaft-erfullt-herzenswunsche-schon-vor-weihnachten/)!!!!
13. Dezember 2024, Wolfram Quellmalz
