VICA Ensemble in Radebeul und Dresden
Zwar zählt VICA zu den jungen Ensembles, ist eigentlich noch in der Anfangsphase, doch der Chor von Richard Stier hat sich bereits über Dresden hinaus einen Namen gemacht und ist Ende des Monats zum Beispiel in Süddeutschland zu Gast. In der Vergangenheit hat das VICA Ensemble neben bekannten Werken auch solche präsentiert, die als schwierig gelten oder selten zu hören sind. Zwar mag Igor Strawinskys Mass kein Zuschauermagnet sein, zur Profilierung des Chores hat sie sicher beigetragen.
Kein Wunder also, daß sich zu Felix Mendelssohns »Elias« am Sonnabend vor der Lukaskirche eine lange Schlange bildete, der Konzertbeginn sogar um ein weniges verschoben werden mußte, damit alle Gäste eingelassen werden konnten und Platz gefunden hatten. Der Name VICA Ensemble bürgt eben bereits für Programmauswahl ebenso wie für Qualität. Oder die jüngsten Erfolge hatten sich herumgesprochen – den Rezensenten erreichten noch vor Beginn begeisterte Rückmeldungen aus Radebeul, wo Mendelssohns Oratorium schon am Freitag unter der Leitung von Inga Diestel aufgeführt worden war.

Die Besetzung klang vielversprechend: Als Solisten hatte Richard Stier Marie Henriette Reinhold (Alt), Benedikt Kristjánsson (Tenor) und Andreas Scheibner (Baß) verpflichtet, für die erkrankte Isabel Schicketanz war kurzfristig Carolina Ullrich eingesprungen. Als Orchester trat die Junge Sinfonie Dresden auf, die sich aus Nachwuchstalenten, Studenten und erfahrenen Musikern zusammensetzt und bereits beim Mozart-Requiem vor zwei Jahren mitgewirkt hatte.
Wie schon im Passionskonzert des vergangenen Jahres gelang dem VICA Ensemble eine emotionale, ja leidenschaftliche Auslegung, die ebenso bildkräftig darstellen konnte, wie sie ambivalente Züge, die Menschlichkeit und Fehlbarkeit Elias‘ sowie Verläufe und Entwicklungen offensichtlich machte. Eindrucksvoll war das natürlich da, wo Mendelssohn mit bewährten Mitteln (aber genialen Ideen) Wasserströme, Feuer und Erdbeben in Szene setzt. Manches erinnerte an Bach oder knüpfte bei diesem an, doch zeigte sich Mendelssohn einerseits als Romantiker, andererseits sorgt gerade sein freierer Umgang mit der Form für eine menschlichere Darstellung, einen leichteren Zugang. Vielleicht am Stärksten spürbar in einer der Elias-Passagen, als Andreas Scheibner zunächst von den Violoncelli umrahmt »Es ist genug« begann, als sei es eine der zentralen Arien einer Bach-Passion. Doch entwickelte es sich mit ungeahnter Empathie und machte Elias‘ Verzweiflung überwältigend emotional spürbar.
Überhaupt war Andreas Scheibner mit seiner klaren Diktion ein wesentlicher Basispunkt, nicht nur als Elias, wußte er doch, kleine Betonungen zu setzen und der direkten Emotionalität, die im Stück verankert ist (Leidenschaft, Zorn) noch eine übergeordnete hinzuzufügen, wie die Güte, die im Duett Elias‘ mit der Witwe musikalisch deutlich wurde. Carolina Ullrich gestaltete ihre Rollen leidenschaftlich (unter anderem als »Witwe«), geradezu aufregend, nur als Engel schien ihr Vibrato etwas viel. Marie Henriette Reinhold bereicherte die Aufführung mit der von ihr gewohnten Souveränität, sowohl im Solo (Arioso »Weh ihnen, daß sie von mir weichen!«) als auch im Duett. Ganz erstaunlich war die Spannweite der Darstellung von Benedikt Kristjánsson, der als Prophet Obadjah geradezu lyrisch auftrat, worin sich die teils hymnische Musik Mendelssohns zeigte (»Hilf deinem Volk, du Mann Gottes!«), dann wieder als erzählender Tenor mit bestechender Artikulation.

Nicht vergessen werden dürfen die Chorsolisten. Einmal jene kleine Gruppe eines VICA-Kerns, der die Doppelquartette bzw. drei Engel (a cappella) sang, besonders aber Marlene Walther als Knabe mit himmlisch vibratofreiem Sopran sowie Clara Bergert und Anna-Maria Titze, welche Carolina Ullrich und Marie Henriette Reinhold am Schluß im Quartett ergänzten.
Die Junge Sinfonie Dresden war in großer Besetzung mit vielen Bläsern angetreten, die mit manchem Stakkato-Effekt oder durch die Trennung von Bläsern und Streichern zur Schärfung der Dramaturgie beitrugen. Doch nicht nur durch Klang, sondern ebenso durch Pausen. Während Richard Stier Teile nacheinander fließend darstellte, sorgte er an ausgewählten Stellen, etwa wenn Elias mit den Baal-Priestern im Konflikt ist und jeder auf Antwort »seines« Gottes wartet, oder vor dem Auftritt des Engels, als Elias schläft (»Stehe auf«), für eine Hervorhebung durch die Pause. Die Ausdrucksstärke des VICA Ensembles basierte ohnehin nicht nur auf emotionaler Kraft, sondern auch auf feinen Übergängen. So blieben Chorpassagen, die in Choräle führten, wie am Ende von »Aber der Herr sieht es nicht«, in einer sinnigen Gesamtheit geschlossen.
2. März 2025, Wolfram Quellmalz
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