Sebastian Freitag legte im zweiten Konzert des Dresdner Orgelzyklus nach
Eine Woche nach den romantischen Orgelstücken im Rahmen des Dresdner Orgelzyklus‘ auf der Silbermann-Orgel der Dresdner Hofkirche ging Domorganist Sebastian Freitag wenige hundert Meter entfernt und einen Mittwoch später in der Frauenkirche einen Schritt weiter. Die Kern-Orgel dort soll einerseits den Gestus Silbermanns aufgreifen, als modernes Instrument aber gleichzeitig das Klangspektrum auf die Zeit nach dem Barock ausweiten. Demzufolge wäre hier noch mehr Romantik und Moderne möglich.
Sebastian Freitag, der sich unter anderem sehr stark mit dem Werk Max Regers auseinandersetzt, nutzte diese Möglichkeiten, um einen ebenso klaren wie sinfonischen Klang darzustellen. Wobei die Trennung der Charaktere nicht nur dem Namen nach manchmal schwierig ist, weil Werke mit Gattungsbezeichnungen wie »Orgelsonate« und »Orgelsinfonie« oft Übergänge enthalten, beides sind.

Gottfried Rüdinger ist heute vor allem noch in Orgelkreisen bekannt, auch wenn sein Œuvre ebenso Kammermusik, Klavierwerke und anderes umfaßt. Und: er gehörte dem engeren Kreis der Leipziger Reger-Schüler an. Seine Sonate h-Moll setzte mit dem Wechsel aufstrebender Akkorde und »französisch« schimmernder Stimmungsverläufe die Gegensätze der Formen sogleich in eine Verbindung. Dabei schien sich allmählich eine Wesensänderung zu vollziehen. Im zweiten Satz zumindest, der als Doppelfuge angelegt ist, offenbarte sich die Fugenstruktur erst allmählich und gewann die Oberhand über die anfangs wesentlichere atmosphärische Zeichnung. Vergleichbar sollte das Konzert abschließen.
Mit der Kleinen Choralpartita über »Oh Jesu, all mein Leben bist du« von Petr Eben, die Sebastian Freitag sehr lückenlos anschloß, folgte ein zwar deutlich moderneres Werk, daß aber wiederum neben der maßgeblichen Partita einen anderen Charakter in sich trug – jenen des titelgebenden Chorals, der in der Melodiestimme variierte und durch die Register »wanderte«. So entstand ein weiteres Mal, wenn auch ganz anders als zuvor, eine Symbiose der Formen. Nicht minder ungewöhnlich war der Schluß (laut Text »Oh Jesu«), den Eben, zwar einem »Amen« gleich, aber in einem Viertonmotiv betont.
Wiederum ließ Sebastian Freitag kaum eine Lücke zum Poème héroïque Opus 33 von Marcel Dupré. Zwar wäre eine kurze Pause zwischen den Werken schöner gewesen, doch darf man feststellen, daß das Programm andererseits einlud, eine dichte (eben sinfonische) Atmosphäre in seiner Gesamtheit zu spüren. Duprés Poème ist an sich vor einem tragischen Hintergrund zu sehen (Schlacht bei Verdun im Ersten Weltkrieg), doch hatte der Komponist in seinem Widmungswerk all das Klang werden lassen, was der Titel vermuten läßt. Es beginnt bereits mit Fanfarenmotiven, Sebastian Freitag arbeitete die heroischen und patriotischen Passagen aber ohne Übermaß heraus, so daß der musikalische und strukturelle Verlauf, von erneut aufwärtsstrebenden Akkorden bis zum Marschrhythmus, deutlich wurde, im Sinne der Widmung aber in einem milden Licht blieb, was dem inneren Anspruch des Werkes, dem Gedenken, gerecht wurde.
Mit fast einer halben Stunde beanspruchte Alexandre Guilmants fünfte Orgelsonate den meisten Raum im Programm für sich. Wie zuvor sozusagen direkt aus dem Poème Duprés folgend, wohnte ihr aber auch die größte Faszination inne. Nachdem in den Werken zuvor viele Gegensätze die Kontraste betont hatten, wurde das motivische Aufwärtsstreben sogleich verarbeitet, das appassionato (leidenschaftlich) des Allegros glich einem Argumentieren. Erneut gab es damit eine Synthese, die verschiedene tonale Eigenschaften verband. So war das Adagio von einer gewissen Erdenschwere (oder Erdverbundenheit) gekennzeichnet, also Tragfähigkeit, die noch im lustvoll folgenden Scherzo nachklang. Beindruckend war der kurze Aufstieg vor dem Choral des letzten Satzes, dem wiederum eine geradezu fröhliche Hoffnungsmusik entwuchs, deren Fuge (nun aus dem Choral hervorgegangen) einen Gipfelpunkt markierte. Da hatte Sebastian Freitag das Spektrum von Instrument und Orgel gut genutzt!
6. März 2025, Wolfram Quellmalz
Am kommenden Mittwoch lädt Kreuzorganist Holger Gehring zu einem Passionskonzert in die Kreuzkirche Dresden. Dann steht noch einmal Marcel Dupré auf dem Programm, aber auch Sigfrid Karg-Elert und Max Reger. Mitwirkende: Undine Röhner-Stolle (Oboe und Englisch Horn), Ensemble VokalChoral Dresden (Leitung: Marcus Steven), Gespräch »Unter der Stehlampe« 19:19 Uhr.