Alles Bach in Lateinamerika?

Ausflug zum Internationalen Bachfest nach Stuttgart

Wie kam denn Johann Sebastian Bach nach Südamerika? Hat er dort Holz für seine Flöten gesucht oder Zuckerrohr, damit er sagen konnte: »Ei! wie schmeckt der Coffee süße« (BWV 211)? Schließlich titelt die Internationale Bachakademie Stuttgart (IBA) doch beim Internationalen Bachfest Stuttgart 2025 nicht ohne Grund »Bach und Lateinamerika«. Doch es liegt ein wenig anders, denn Europa und (Latein)amerika waren im Barock längst in einem regen Austausch. Die IBA knüpfte daher schon vor einigen Jahren Kontakte zu südamerikanischen Künstlern und Komponisten. Bereits 2018 besuchte ihr jetziger Leiter Hans-Christoph Rademann mit der Gaechinger Cantorey Lateinamerika, im vergangenen Jahr waren sie erneut dort und trafen in Brasilien, Uruguay und Argentinien mit der Urfassung von Händels »Messiah« auf ein begeistertes Publikum.

Michael Hörrmann, Geschäftsführer der Internationalen Bachakademie, Photo: Staatliche Schloesser und Gärten Baden-Württemberg

Michael Hörrmann, Geschäftsführer der IBA, sieht vermittelbare Gründe, die das Motto glaubhaft in den Konzerten nacherlebbar machen sollen: Während Bach, Händel & Co. bei uns zum Beispiel zur »Alten Musik« zählen, fühle man in Lateinamerika eine lebendige Begeisterung, die sich bis in die Volksmusik erstreckt. Und natürlich habe Lateinamerika auch eine eigene Barockmusiktradition, die es zu entdecken gibt. Noch bis zum Sonntag nach Bachs Geburtstag und in 37 Veranstaltungen gibt es beim Internationalen Bachfest Stuttgart Gelegenheit dazu.

Die NMB nahmen eine solche gestern wahr, um das vierte der Konzerte zu besuchen. Dabei konnte schon der Weg einstimmen: mit der Bahn ging es vor am Bachort Eisenach unterhalb der Wartburg, das Hotel in Stuttgart hieß so wie die Burg, und auf dem Namensschild der Rezeptionistin stand »Frau Bach« (!) …

Nicht nur Bach hingegeben, sondern vor allem Telemann: Dorothee Oberlinger und Anna Lucia Richter (rechts am Cembalo: Olga Watts), Photo: IBA, © Holger Schneider

Anna Lucia Richter und Dorothee Oberlinger, die mit ihrem Ensemble 1700 angereist war, hatten ein Programm mit Musik der Anwärter auf das Leipziger Thomaskantorat 1723 zusammengestellt. Statt der Bewerbungskantaten, die der eine oder andere in den letzten zwei Jahren sicher gehört hat, waren im Neuen Schloß Stuttgart andere Werke zu erleben. Außerdem erweiterten die beiden Künstlerinnen den Kreis von Bach, Telemann und Graupner, damals die begehrtesten Wunschkandidaten, um Johann Friedrich Fasch, der ebenfalls auf der Liste des Leipziger Rates gestanden hatte. Dorothee Oberlinger schätzt seine interessante Mischung verschiedener Stile: Dresden könne man ebenso heraushören wie Italien und ein bißchen Telemann. Trotzdem habe Fasch schon über einen Personalstil verfügt – seine Sonate g-Moll war eine Erfrischung im Konzert! In der Anlage vergleichbar der Triosonate a-Moll (TWV 42:a4) Telemanns, klang Fasch ein wenig beherzter, während der innovative Telemann durchaus mehr in die Extreme ging. Oder seiner Zeit voraus war. Verblüffend modern schien das Lied »Einsamkeit« (TWV 25:62). Die Frage, ob seine Melancholie nicht bereits die Epoche der Empfindsamkeit ankündigte, verneinte Anna Lucia Richter allerdings, vielmehr sah sie darin eine Spielart des Vanitas-Themas, was im Barock das Thema schlechthin gewesen sei.

Das Ensemble 1700 spielte im Weißen Saal des Neuen Schlosses Stuttgart, Photo: IBA, © Holger Schneider

Der in Magdeburg geborene Telemann war der Anzahl der Werke nach am stärksten vertreten. Was aber auch die Wertschätzung von Dorothee Oberlinger und Anna Lucia Richter widerspiegelt, wie die beiden Damen im Nachgespräch freimütig gestanden. Die Kantaten »Ihr Völker hört« (TWV 1:921) und »Ergeuß dich zur Salbung der schmachtenden Seele« (TWV 1:448) sowie der Arie »Kein Mädchen auf Erden« aus »Pastorelle en musique« waren allerdings klangvolle Beispiele für Telemanns prickelnde Barockperlen – vielseitig und eben innovativ. Wobei er viele Freiheiten ließ und auf das Können der Musiker vertraute – also auch der Musikerinnen, die manchen gewitzten »Schlenker« einbauten, wie das blitzende Sopranino (ursprünglich Traversflöte) im accompagnativ ausgelegten Rezitativ »Die Finsternis verstreicht« in TWV 1:921.

Ohne Zugabe ließ das Publikum Dorothee Oberlinger, Anna Lucia Richter und das Ensemble 1700 nicht von der Bühne, Photo: IBA, © Holger Schneider

Und gekonnt dargeboten, denn das Ensemble 1700, Dorothee Oberlingers eigenes Barockorchester, kann noch in kleinster Besetzung mit Einzelstimmen die schönsten (oder aufregendsten) Affekte herausputzen. Violinistin Anna Dmitrieva fand darin nicht nur zum Duett mit der Stimme oder Flöte, einen besonderen Reiz hatten die drei Damen im Trio oder fast schon Terzett, denn Gesanglichkeit ist eine Kunst, die das Ensemble 1700 noch Instrumental darstellen kann. Daher darf Vladimir Waltham (Violoncello) als wesentlicher Farbtupfer und Stütze des Basso continuo nicht vergessen werden. Axel Wolf sorgte für einen Impuls an den Zupfinstrumenten – gelassener an der Laute, fiebriger, wenn er zur Barockgitarre griff. Olga Watts wechselte für manches Adagio oder eine getragene Einleitung an die Orgel, während sie die meisten Stücke am Cembalo begleitete. Da hätte ihr Soloauftritt durchaus länger sein dürfen als ein Satz aus Christoph Graupners Partita c-Moll (GWV 131). Die Ouverture war nicht nur kurz, sie ließ auch das, was unweigerlich hätte nachfolgen sollen, missen.

Übrigens waren Axel Wolf und Olga Watts nicht die einzigen, die ihre Instrumente wechselten: Dorothee Oberlinger spielte zwischen Sopranino und Baß auf insgesamt sechs Flöten – nur Anna Lucia Richter hatte die Flexibilität, alles zwischen lichter Höhe und golden einfühlsamer mit nur einer Stimme Tiefe darstellen zu können.

Das berührte wohl jedem im Saal, weshalb zwei Zugaben, Claudio Monteverdis »Si dolce momenti« und Johann Sebastian Bachs Fassung des Adam-Krieger-Liedes »Der Liebe Macht herrscht Tag und Nacht«, nachgeliefert wurden.

12. März 2025, Wolfram Quellmalz

Das Internationalen Bachfest Stuttgart geht noch bis zum 23. März und endet mit einem »Fest für Händel« des JSB Ensembles. Dorothee Oberlinger erleben wir bald in Dresden, sie spielt am 26. April zur Langen Nacht der Theater mit der Dresdner Philharmonie (Programm »Concerti« mit Werken von Telemann und Händel).

https://www.bachfest-stuttgart.de

Die zur IBA zählenden Gaechinger Cantorey hat im vergangenen Jahr den ersten Kantatenjahrgang Johann Sebastian Bachs aufgeführt (NMB berichteten). Nach und nach erscheinen nun die CDs zum Projekt, die wir teilweise schon besprochen haben und weiter verfolgen werden. Ausgabe 7 mit den Kantaten vom 1.Sonntag nach Epiphanias bis Sexagesimae des 1.Leipziger Jahrgangs wird demnächst veröffentlicht (Gaechinger Cantorey, Hans-Christoph Rademann, Solisten), 2 CDs, erscheint bei Hänssler

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