Kreuzchorvesper zur Passionszeit
Nach der etwas längeren Pause der Ferien kehrte der Kreuzchor gleich mit zwei der berühmtesten Werke Johann Sebastian Bachs in die Dresdner Kreuzkirche zurück. Das Programm enthielt sowohl die Motette »Jesu, meine Freude« (BWV 227) als auch Kantate »Weinen, Klagen, Sorgen, Zagen« (BWV 12). Am Beginn der Vesper am Sonnabend stand mit dem Introitus zum Sonntag Invocavit von Jan Arvid Prée aber eine weitere Uraufführung.
Das neue Werk greift Verse aus dem 91. Psalm auf, der sich mit dem Schutz des Menschen durch Gott, aber auch mit dem Vertrauen darein auseinandersetzt. In den beiden Teilchören (wie mittlerweile gewohnt der erste kleiner als der zweite) wurde dies musikalisch ausgeleuchtet. Durch den Wechsel entstand ein Effekt des beständigen Hinterfragens und Bekräftigens, der Beteiligung. Nach oben gerichtete Melodiestücke sorgten ebenso für eine positive Stimmung, wie das immer neue Hinterfragen bis zum in der Wiederholung gestuften »Amen« die gedankliche bzw. innere Beteiligung einzufordern schien.

Prées quasi offen endender Introitus öffnete damit ebenso die Vesper, Bachs »Jesu, meine Freude« stattete sie sogleich mit Bestimmtheit und Zuversicht aus – nicht nur inhaltlich eine gelungene Wendung, sondern auch musikalisch und harmonisch! Kreuzkantor Martin Lehmann hatte die Einleitung erneut seinem Chordirigenten Sebastian Herrmann überlassen, für Bachs lange Motette übernahm er nun die Leitung. Der Kreuzchor konnte hier nicht nur die Vielfalt der Gestaltung in den Strophen durch Stimmbesetzung ausmalen, sondern mit affektiver Gestaltung, beginnend mit der »Freude« des ersten Verses, eine emotionale Brücke zwischen Chor und Gemeinde schlagen. Nach dem a cappella vorgetragenen Introitus wurde der Kreuzchor nun vom Dresdner Barockorchester begleitet, dessen Violinen Martin Lehmann leicht forciert wie weitere Singstimmen hinzutreten ließ – noch ein willkommener Effekt!
Der Kreuzchor präsentierte sich nach den Ferien unvermindert stark in Darstellung und Textverständlichkeit, so daß die vielen, fast einem Pasticcio gleichenden Versatzstücke der Strophen kontrastreich herausgearbeitet wurden und nicht nur auf die Betonung der Stärke setzten. Das »Trotz dem alten Drachen« hatte also gleichviel Gewicht wie Fuge »Ihr aber seid nicht fleischlich« oder das sanfte »Gute Nacht«.
Der Übergang zur Kantate »Weinen, Klagen, Sorgen, Zagen« schien im Vergleich zum Beginn weniger sinnig, was aber vielleicht nur oder gerade auffiel, weil es am Anfang so gelungen war. Spätestens, als die Trompete den Choral »Jesu meine Freude« in der Tenorarie spielte, war der Zusammenhang jedoch hergestellt.
Mit Anna Maria Tietze (Alt) und Oliver Chubb (Tenor), Studenten der Musikhochschule, waren zwei junge Solisten zu erleben, die vor allem mit Gestaltungssinn überzeugten. Beide Male gelang das nahe oder ferne Duett mit der Oboe (Altarie »Kreuz und Kronen sind verbunden) bzw. der im Hintergrund »kommentierenden« Trompete außerordentlich schön! Zum Beispiel, weil sich Oboe und Altstimme im Charakter samten, so ähnlich waren.
Beide Solisten stehen trotz bereits vieler Erfahrung mit diesen Rollen noch am Anfang eines Weges, zu dem auch das Sich-erproben gehört. Martin Lehmann unterstützte und bestärkte sie darin zugewandt. Den großen Raum der Kreuzkirche bis in die hintersten Bankreihen mit Klang zu »füllen«, ist eine Herausforderung, die man bedacht angehen muß. Daß hier der Gestaltung gegenüber einem zu schnellen Forcieren die größere Bedeutung zugeschrieben war, ist anzuerkennen.
So hatte die Vesper trotz des leichten »Dämpfens« in der Passionszeit einiges an musikalischer Strahlkraft. Pfarrer Holger Milkau hatte das »Weinen, Klagen …«-Motiv aufgegriffen, um von den »klebrigen Tönen« zum Gefühl, auf dem Fleck zu stehen und nicht vorwärtszukommen, überzuleiten.
Für das Ende der Vesper hatte Sebastian Herrmann Antonio Lottis Motette »Crucifixus« (Kreuzigung) vorbereitet, die, zunächst mit Männerstimmen und Violoncelli, aus der Tiefe aufzusteigen schien. Ein verblüffendes, großartiges Kleinod!
9. März 2025, Wolfram Quellmalz
Am kommenden Sonnabend präsentiert der Große Chor der Singakademie Dresden unter der Leitung von Michael Käppler in der Kreuzvesper Werke von Johann Sebastian Bach, Felix Mendelssohn, Anton Bruckner und Iryna Aleksiychuk, Orgel: Kreuzorganist Holger Gehring, Liturg: Pfarrer Holger Milkau