Orgelkonzert wie aus dem Osternest

Tjark Pinne in der Kreuzkirche

Kurz nach den Osterfeiertagen bzw. am Beginn der Osterzeit bot Tjark Pinne, seit kurzem Domorganist in Oslo, den Besuchern des Dresdner Orgelzyklus‘ in der Kreuzkirche ein Programm, das nicht nur »bunt«, sondern fast ein wilder Mix war. Mit »Victimae paschali laudes« (Singt das Lob dem Osterlamme) hatte er sich ein österliches Thema ausgesucht, das am Ende des Abends in einer Choral-Improvisation erklang, im Verbund mit Bach, Tunder und unterhaltsamen Bearbeitungen hatte Tjark Pinnes Titelfolge aber eine Vielfalt, die nicht nur Farben, sondern auch Inhalte einschloß – Ostereier mit Nougatfüllung und Eierlikör sozusagen.

Seit kurzem neue Arbeitsstätte von Tjark Pinne: Dom in Oslo, Photo: © J. P. Fagerback, Bildquelle: Wikimedia commons

Obwohl das den roten Faden vermissen ließ, zeigte es die Vielgestaltigkeit der Jehmlich-Orgel, mit der sich in der Tat viele Stile und Musikzeitalter darstellen lassen. So verblüffte Charles-Marie Widor Moderatos aus der Symphonie Romane nicht allein mit einem sinfonischen oder französischen Gestus, den man unmittelbar erwartet hätte, sondern mit der Wandlung des darin enthaltenen Themas. Fast als würden Psalmverse moduliert (wie man es eher bei Bach erwartet), veränderte sich das Thema, bevor es schließlich – der sinfonischen Erwartung gemäß – zu wachsen und lichter zu werden schien.

Gleich zweimal folgte darauf eine Verarbeitung von »Christ lag in Todesbanden«. Zunächst in der Choralbearbeitung von Johann Sebastian Bach (BWV 625), dann als Choralvorspiel von Franz Tunder. Der direkte Vergleich ist natürlich reizvoll, auch wenn man sich hüten sollte, von diesem Höreindruck unmittelbar auf eine kompositorische Qualität (oder Befähigung) zu schließen, denn oft waren gerade solche Werke mit einem Anlaß, also für einen liturgischen Einsatz eingerichtet. Bach wählte dafür eine kurze, fast knappe Art, welche die frohe Oster-Botschaft in einen freudig strahlenden Hymnus kleidet. Franz Tunders sehr viel früher entstandenes Choralvorspiel erwies sich dagegen als ungemein ausgefeilt. Zunächst verkündeten die Bläserregister das Thema, welches danach wieder und wieder umgewandelt wurde. Nicht Sinfonie oder Polyphonie prägten das Stück, sondern ein Klang, der aus einzelnen Tönen zusammengesetzt wurde. Besonders reizvoll gelangen Tjark Pinne die Echos, die von weither oder von draußen zu kommen schienen.

Loge und Orgel der Orgelbaufirma Ryde & Berg im Osloer Dom, Bildquelle: Wikimedia commons

Von Jean-Philippe Rameau sind keine Originalwerke für Orgel überliefert, doch Yves Rechsteiner hat Instrumentalstücke aus Rameaus Opern bearbeitet, die Tjark Pinne in zwei Abteilungen – fast wie eine Suite – spielte. Ein unterhaltsames Wiederhören, denn viele der Werke (Air tendre en trio sur les flûtes aus »Zoroastre« oder Tambourins aus »Les Indes galantes«) gehören zu den bekanntesten Werken der Alten Musik. Wegen seines lebhaften, mitreißenden Charakters erfreut sich der »Danse des Sauvages« (Tanz der Wilden), ebenfalls aus den »Galanten Indern«, bei Publikum und Ensembles größter Beliebtheit – Tjark Pinne bewies, daß sich Bläser, Streicher und Tamburins auch auf einer Orgel darstellen lassen – köstlich!

Aber wie bitte paßte Johann Strauss‘ »Die Fledermaus« ins Programm »Victimae paschali laudes«? Weil die Operette an einem Ostersonntag uraufgeführt wurde? Anders als bei Rameau, für den die Orgel ein neues »Kleid« entworfen hatte, erwies sich das Instrument bei der Ouvertüre zur »Fledermaus« als Imitationshilfe (Transkription: Natalia Uzhvi), denn hier erweckte es nahezu alle Instrumente, wie sie auch im Orchester erklingen. Dennoch – der rote Faden fehlte.

Mit dem zweiten Teil von Jean-Philippe Rameau (»Tendre amour« / zarte Liebe aus »Les Indes galantes«) sorgte Tjark Pinne im schönen Andante-Stil dafür, daß sich die operettenhafte Aufregung legte.

Und kam mit Charles Tournemire Choral-Improvisation über »Victimae paschali laudes« zu einem der Hauptwerke, vielleicht dem Hauptwerk des Abends. Tournemire hatte bei César Franck, Charles-Marie Widor und Vincent d’Indy studiert, sein Schüler Maurice Duruflé hatte die für Orchester geschriebene Choral-Improvisation auf die Orgel übertragen. Sie begeisterte durch einen freien, eben wie improvisiert scheinenden Umgang mit dem Thema, expressiv zunächst, geradezu phosphoreszierend, als solle der Choral illuminiert werden. Geradezu organisch entwickelte sich das Stück bis zu einem impressionistisch schimmernden Andante tranquillo.

27. April 2025, Wolfram Quellmalz

In der kommenden Woche spielt Friedhelm Flamme in der Frauenkirche, am 7. Mai gestaltet Domorganist Sebastian Freitag das Konzert in der Hofkirche, bevor es mit Stefan Madrzak in drei Wochen »Tanz im Mai« (Kreuzkirche) heißt.

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