SLUB hegt den Bestand Zeitgenössischer Musik
Zu den Beständen der Sächsischen Landesbibliothek – Staats- und Universitätsbibliothek Dresden (SLUB) gehört weit mehr als nur der Historische Fundus aus dem »Schranck No. 2« der Sächsischen Hofkapelle. Bis heute werden neue Musikalien angeschafft und zugänglich gemacht. Manches davon aus Nach- oder Vorlässen, gezielt gesammelte und später in ihrer Gänze übergebene Konvolute, aber auch manche zufällig wiederaufgefundenen Werke. Wie das zweite Streichquartett von Hermann Keller. Der Komponist hatte das Werk 2009 vollendet, aber keine Gelegenheit für eine Uraufführung gefunden. Nach dem Tod Kellers 2018 war es zunächst verschollen, bis das Quartett in einem Karton auf einem Dachboden wiedergefunden wurde. Mit Hilfe der NEOS-Musikstiftung wurde es, heute mit der Signatur MUS.15445-ZZ-697 im Katalog der SLUB, am Freitag letzter Woche uraufgeführt.
Insgesamt erklangen im Klemperer-Saal der SLUB fünf Werke der Gegenwartsmusik, welche in etwa das umfaßt, was in den letzten siebzig Jahren entstanden ist – selbst die Neue Musik reicht also bereits über (mindestens) drei Generationen! Michał Dobrzyński gehört demnach zur jüngsten bzw. den Enkeln. In seinem Werk, hier dem »MonoQuartet« von 2024, greift er Bezüge zur Bildenden Kunst auf (in diesem Fall von Gero Hellmuth) bzw. nutzt diese und vor allem die Gespräche darüber als Ausgangsimpuls. »MonoQuartet« scheint einzelne Aspekte in Töne zu verwandeln, die wiederum einzeln auftreten, aber auch zu schwingen beginnen und miteinander in Korrespondenz geraten. Nicht dichte innere Bezüge, sondern konkrete Strukturen wie aus Linien und Punkten bilden ein Gerüst, das über einem zeitlichen Ablauf entsteht. Oft vereinzeln sich dabei die Stimmen, weshalb Karolina Piatkowska-Nowicka (erste Violine) wie eine Dirigentin den Ablauf koordinierte, wenn sie selbst nicht spielte.
Das NeoQuartet (außerdem Pawel Kapica / zweite Violine, Michał Markiewicz / Viola und Krzysztof Pawłowski / Violoncello) spielte danach mit Georg Katzers Streichquartett Nr. 2 ein Werk der Elterngeneration (1985), das von sirenenhaften Rufen der Bögen und gleichzeitigen bzw. parallelen Tonverläufen geprägt war, was anfangs sogar einen sinfonischen Eindruck erweckte. Bald aber wurde dieser flächige oder räumliche Klang durch Glissandi und Pizzicati aufgefächert. Mehr und mehr wuchs eine Emotionalität, die teilweise an Schostakowitsch erinnerte, einzelne Linien wie ausgleiten und schwingen ließ.
Irina Emeliantsevas Streichquartett »2000« (aus demselben Jahr) suchte dagegen mit harten, fast knallenden Pizzicati eher nach Konturen, ließ singende Stimmen vereinzeln und schloß verschiedene Kadenzen (Viola, Violine) ein. Die Charaktere reichten dabei von brummigen Tönen bis zu verfremdenden Flageoletts.

Mit Spannung wurde natürlich die Uraufführung erwartet, die übrigens in eine CD-Aufnahme münden soll. Von spät nachgeholten Uraufführungen nach dem Tod des Komponisten liest man in der Historie, aber es gibt sie eben heute ebenso. Hermann Kellers zweites Streichquartett offenbarte – anfangs mit Dämpfer gespielt – einen melancholisch schwimmenden, beinahe tragischen Charakter, melodischen Zusammenhalt, dann wieder viele Fragefiguren – solche, aber mit anderen »Argumentationen«, hatte es bereits bei Georg Katzer gegeben, was noch in der Gegenwartsmusik einen Bezug zu Goethes berühmtem Zitat (die Unterhaltung vierer vernünftiger Leute) über das Streichquartett herstellte. Auch Hermann Keller hat den Klangraum aufgeweitet bzw. das Gespräch um Argumentationsformen ergänzt. Zunehmend fand das NeoQuartet eine rhythmische, tänzerische Struktur, in die sich jazzige Anklänge des Violoncellos einschoben. Im Finale gewann dieser Charakter über alle vier Instrumente zunehmend Bedeutung.

Mit dem dritten Streichquartett von Helmut Zapf, zwischen 2008 bis 2010 entstanden, traten Verfremdungen wie Glissando und Flageolett noch einmal in den Vordergrund bzw. wurde deutlich, daß sie nicht immer Verfremden, sondern irgendwann Eigenständigkeit gewinnen. Auch bei Helmut Zapf war der Viola eine kadenzartige Passage zugeschrieben, während das Violoncello im Flageolett extreme Impulse setzte. Die Argumentation der vier Streicher reichte aber bis ins Flüstern.
26. April 2025, Wolfram Quellmalz
Gleich dreimal (9. Mai: Songs of Space, 13.: Hearing Memory, 14.: Musik der Extreme #5) steht die Neue Musik mit teils experimentellen Ansätzen im kommenden Monat im Programm der SLUB.